Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Spuren von Grau. Unter einer vorspringenden Stirn saßen tiefgründig blickende dunkle Augen. Die Wangen mit den hohen Jochbeinen waren glatt, was Hadrian erstaunte, da die wenigen Zauberer und Magier, die er wenigstens vom Hörensagen kannte, allesamt lange Bärte als Kennzeichen ihres Berufsstandes trugen. Der Mann war in ein prächtiges Gewand gekleidet, dessen Farbe Hadrian nicht recht bestimmen konnte: Es schillerte zwischen dunkelblau und rauchgrau, doch da, wo es Falten warf, schien es smaragdgrün oder sogar türkis. Der Mann hatte das Gewand um sich gerafft, und seine im Schoß ruhenden Hände waren in den Stofffalten verborgen. Er saß so reglos da wie eine Statue, und nichts an ihm deutete darauf hin, dass er um ihre Anwesenheit wusste.
»Und jetzt?«, flüsterte Alric.
»Sprecht Ihr mit ihm«, antwortete Royce.
Der Prinz sah sich unsicher um. »Der Mann da unten kann doch nicht tausend Jahre alt sein, oder?«
»Ich weiß nicht. Hier drinnen scheint alles möglich«, sagte Hadrian.
Myron blickte gequält im Raum umher und zu der unsichtbaren Decke hinauf. »Das Singen – es erinnert mich an die Abteikirche, an das Feuer, als ob ich sie alle wieder schreienhöre.« Hadrian legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.
»Beachte es gar nicht«, sagte Royce zu dem Mönch und funkelte Alric finster an. »Ihr müsst mit ihm reden. Vorher können wir hier nicht weg. Jetzt macht schon, fragt ihn, was Ihr hier herausfinden wolltet.«
»Was soll ich denn sagen? Ich meine, wenn er wirklich ein Zauberer aus dem Alten Imperium ist, wenn er wirklich dem letzten Imperator gedient hat, wie soll ich ihn dann ansprechen?«
»Fragt ihn doch einfach, was er heute vorhat«, schlug Hadrian vor, was Alric mit einem Grinsen quittierte. »Nein, mal im Ernst, schaut doch da hinunter. Da sind er und ein Stuhl, das ist alles. Er hat keine Bücher, keine Spielkarten, nichts. Ich bin schon vor Langeweile schier verrückt geworden, als ich letzten Winter wegen heftiger Schneefälle in der DORNIGEN ROSE festsaß. Was glaubt Ihr, wie er tausend Jahre damit herumgebracht hat, nur auf diesem Stuhl zu sitzen?«
»Und wie kann man nicht wahnsinnig werden, wenn man die ganze Zeit dieses Singen hört?«, setzte Myron hinzu.
»Ich hab’s.« Alric blickte zu dem Zauberer hinab. »Verzeihung!« Der Mann auf dem Stuhl hob langsam den Kopf und blinzelte in das helle Licht von oben. Er sah müde aus. »Entschuldigt bitte die Störung. Ich bin Alric Ess–«
»Es tut nicht not, mir zu erklären, wer Ihr seid«, unterbrach ihn Esrahaddon. Sein Ton war ruhig und gelassen, seine Stimme sanft und wohlklingend. »Wo ist Eure Swistar?«
»Meine was?«
»Eure Swistar , Arista?«
»Oh, meine Schwester .«
» Schwes-ter «, wiederholte der Zauberer sorgfältig und schüttelte seufzend den Kopf.
»Sie ist nicht hier.«
»Warum ist sie nit kummen?«
Alric sah zuerst Royce und dann Hadrian an.
»Sie hat uns gebeten, an ihrer Stelle mitzugehen«, antwortete Royce.
Der Zauberer sah den Dieb an und fragte: »Und wer seid Ihr, wenn’s beliebet?«
»Ich? Ich bin niemand«, antwortete Royce.
Esrahaddon musterte den Dieb und zog eine Augenbraue hoch. »Mag sein, mag auch nit sein.«
»Meine Schwester hat mir aufgetragen, hierherzukommen und mit Euch zu reden«, sagte Alric und lenkte damit die Aufmerksamkeit des Zauberers wieder auf sich. »Wisst Ihr warum?«
»Ich bat sie, Euch her zu senden.«
»Sauberes Kunststück, wo Ihr doch hier eingesperrt seid.«
» Sauber? «, fragte Esrahaddon. »Ist Eurer Rede Sinn, dass es ein reines Tun gewesen? Denn ich seh nit, was Schmutzges daran hafte.« Die vier Männer sahen ihn verwirrt an. »Doch dies ist Nebensache und nit wert, daran sich aufzuhalten. Ein Jahr und länger hat Arista mit ihrer Gegenwart mich stetiglich beehrt, wenn auch in diesem Loch der Gang der Sonnen nit einfach zu verfolgen ist. Dem Studium der Kunst verschrieben hat sie sich, doch duldet eure Welt nit Zaubrerschulen. So trieb denn schierer Durst sie, um Rat mich zu ersuchen. Dass ich ihr zeige jene langvergessnen Praktiken, war ihr Begehr. Wisset, in diesen Wänden sitz ich eingeschlossen mit einem Meer von Zeit, das tropfenweis verrinnt, und nichts als meiner eignen Stimme Klang, mir Trost zu spenden. Darumb gab aus Mitleid ich ihrem Bitten statt. Kunde aus der neuen Welt ward mir durch sie zuteil. Dafür erhielt von mir sie Gegengaben – an Wissen.«
»Wissen?«, fragte Alric beunruhigt. »Was für Wissen?«
»Ach, kleine
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