Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
vielgeschossige Gebäude besaß, war Drondilsfeld an seiner höchsten Stelle nur vierstöckig. Da eine Festung brandsicher sein musste, bestanden die Dächer nicht aus Holz, sondern aus Stein, und entsprechend dick mussten die Mauern sein, die sie trugen. Die Fenster waren schmal und tief und ließen nur wenig Licht herein, was den Innenräumen etwas Höhlenartiges gab.
Alric musste daran denken, wie er als Junge durch diese Gänge gerannt war, um Fanen und Mauvin zu fangen. Sie hatten Schlacht gespielt, und die Pickerings hatten immer gewonnen. Dann hatte er damit aufgetrumpft, dass er eines TagesKönig sein würde. Als Zwölfjähriger hatte er es genossen, einem Freund, der sich als überlegen erwiesen hatte, sagen zu können: »Aber ich werde mal König. Dann musst du dich vor mir verbeugen und alles tun, was ich sage.« Dass sein Vater sterben musste, damit er selbst König werden konnte, war ihm damals gar nicht richtig klar gewesen. Er hatte keine Ahnung gehabt, was es eigentlich hieß, König zu sein.
Jetzt bin ich König .
König zu sein, das war in seiner Vorstellung immer etwas gewesen, das weit, weit weg war. Sein Vater war ein robuster Mann gewesen, und Alric hatte geglaubt, noch viele Jahre als Kronprinz vor sich zu haben. Vor ein paar Monaten erst, bei den Somershoh-Spielen, hatten er und Mauvin Pläne für eine Reise von einem ganzen Jahr in alle Winkel Apeladorns geschmiedet. Sie hatten Delgos, Calis und Trent bereisen und sogar das mythische Percepliquis suchen wollen. Die untergegangene Hauptstadt des novronischen Imperiums zu finden und zu erforschen, war schon ihr Kindheitstraum gewesen, ein Traum von Ruhm und Abenteuer. Mauvin erhoffte sich, auch den Rest der untergegangenen Künste der Teshlor-Ritter wiederzuentdecken, und Alric wollte die uralte Krone Novrons finden. Sie hatten ihren Vätern zwar von ihren Reiseplänen erzählt, Percepliquis aber nicht erwähnt. Wenn auch niemand wusste, wo die mythische Hauptstadt des Alten Imperiums lag, galt doch schon die bloße Suche nach ihr als Häresie. Dennoch war es wohl der Traum eines jeden Jungen in Apeladorn, eines Tages durch die sagenumwobenen Hallen von Percepliquis zu schreiten. Für Alric jedoch war die Jugendzeit nun vorbei.
Ich bin jetzt König .
Die Träume von endlosen Tagen voller Freiheit und Abenteuer, vom Erkunden wilder Gegenden, von Abenden beiminderem Bier, Nächten unter freiem Himmel und Liebeserfahrungen mit namenlosen Frauen verflogen wie Rauch im Wind. Stattdessen waren da jetzt Visionen von steinernen Hallen voller alter Männer mit griesgrämigen Gesichtern. Er war nur wenige Male dabei gewesen, wenn sein Vater Audienz hielt und Angehörige des Klerus und des Adels weniger Steuern und mehr Land verlangten. Einmal hatte ein Landgraf sogar den Kopf eines Herzogs und die Verfügungsgewalt über dessen Ländereien gefordert, nur wegen des Verlusts einer seiner kostbaren Kühe. Amrath hatte, wie es Alric erschien, in dumpfer Verzweif lung dagesessen, während der Hofsekretär die vielen Gesuche und Beschwerden verlas, über die der König zu entscheiden hatte. Als Kind hatte Alric geglaubt, König zu sein hieße, tun und lassen zu können, was man wollte. Doch mit den Jahren hatte er erkannt, was es wirklich bedeutete – Zugeständnisse zu machen und Befriedungsstrategien zu finden. Kein König konnte ohne die Unterstützung seiner Adligen herrschen, und die Adligen waren nie zufrieden. Sie wollten immer irgendetwas und erwarteten, dass der König es ihnen gab.
Jetzt bin ich König .
Für Alric fühlte es sich an wie eine Gefängnisstrafe. Er würde den Rest seines Lebens in den Dienst an seinem Volk, seinen Vasallen und seiner Familie stellen, genau wie es sein Vater getan hatte. Er fragte sich, ob Amrath auch so empfunden hatte, als sein Vater gestorben war. Darüber hatte er noch nie nachgedacht. Der Mensch Amrath und die Träume, die er geopfert haben mochte, waren in der Gedankenwelt des jungen Prinzen nicht vorgekommen. Jetzt hätte er gern gewusst, ob sein Vater glücklich gewesen war. Wenn er an ihn dachte, sah er immer das Gesicht mit dem buschigen Bart und den lächelnden Augen vor sich. Sein Vater hatte viel gelächelt – weil er gern König gewesen war oder weil ihm das Zusammensein mit seinem Sohn eine dringend benötigte Pause von den Regierungsgeschäften beschert hatte? Plötzlich wünschte Alric sich sehnlich, er könnte noch einmal mit seinem Vater zusammen sein. Er bereute, dass er sich nie in Ruhe
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