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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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der Mann vor seiner Tür stehen blieb, um mit einem Nachbarn zu sprechen, begab Shan sich flink auf die Rückseite des Hauses und trat durch die Hintertür ein. Als der Mann hereinkam, saß Shan in der Küche. Es schien ihn nicht zu überraschen, einen Fremden in seinem Haus vorzufinden.
    »Ihre Männer haben hier bereits alles durchsucht«, sagte der Mann ruhig. »Wie Sie sehen, haben wir nur wenige Besitztümer und noch viel weniger Platz, um etwas zu verstecken.« Seine Stimme erstarb, denn ihm fielen Shans schmutzige Stiefel und die schäbige Arbeitskleidung auf.
    Shan sagte nichts. Er griff in die Tasche und stellte den kleinen Jadedrachen von Jamyangs Altar vor sich auf den Tisch. »Bei den Ständen abseits des Tiananmen-Platzes kostet so einer vierzig Renminbi. Eine echte Antiquität aus der Zeit des Kaisers Kangxi, sagen die Verkäufer, und die Touristen wissen es nicht besser. Aber mein Instinkt sagt mir, dass dies keine Nachbildung ist.«
    Der Mann ließ sich auf einen Stuhl sinken, den Blick unverwandt auf den kleinen Drachen gerichtet. »Sie sind also hier, um mir mitzuteilen, dass dieses Stück dem Staat gehört«, stellte er angespannt fest. Sein langes, schmales Gesicht schien dabei einen müden Ausdruck anzunehmen.
    Shan musterte den Mann für einen langen Moment. In seinem Blick lag Tiefe und Verunsicherung, große Intelligenz und auch ein Anflug von Furcht. »Mein Vater hat eine kleine Sammlung von Siegeln aus der Kaiserzeit besessen und sehr geschätzt«, erklärte Shan. »Als ich noch ganz klein war, ist er mit mir in den Wandschrank gegangen und hat sie mir beim Schein einer Kerze gezeigt. Und er hat von den geschichtlichen Ereignissen erzählt, deren Zeugen sie gewesen sein mussten. Hin und wieder hat er auf dem Markt die Antiquitätenstände besucht und gehofft, er würde vielleicht ein Dokument mit einem passenden Siegelabdruck finden. Doch bis dahin hatten die Roten Garden bereits fast alle kaiserlichen Dokumente verbrannt. Als man uns zur Umerziehung aufs Land geschickt hat, hat er sie auf einem Feld vergraben und es nie mehr geschafft, sie zurückzuholen. Wahrscheinlich wurden sie schon vor langer Zeit von einer Planierraupe zerstört.«
    Der Mann starrte Shan an. »Es gab ursprünglich zwei davon«, räumte er schließlich ein. »Ich musste das andere Stück schon vor Jahren gegen Medizin eintauschen, als meine Tochter zum ersten Mal krank wurde.«
    Shan schob ihm das kunstvoll gefertigte Siegel über den Tisch zu. Der Mann streichelte es sanft und betrachtete es mit traurigem Lächeln. Als draußen auf der Straße ein Polizeifunkgerät ertönte, schob er es zurück zu Shan. »Es ist hier nicht sicher. Falls es heute diesen Schlägern in die Hände gefallen wäre, hätten sie es einfach mit ihren Stiefeln zertreten und gelacht. Es hat nun einen neuen Beschützer in den Bergen.«
    »Jamyang ist tot«, sagte Shan.
    Die Augen des Mannes weiteten sich bestürzt. »Nein. Nicht Jamyang. Er weiß, wie man überlebt.«
    »Ich war bei ihm, als er sich getötet hat.«
    Der Mann wurde bleich. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz. Er presste sich eine Faust an den Mund, als müsse er ein Schluchzen unterdrücken, und schlug dann die Hände vor das Gesicht. »Ich glaube, ich mache jetzt Tee«, verkündete er seufzend.
    »Ich heiße Yuan Guo«, erklärte der Fremde, während er wartete, dass die Kochplatte das Wasser zum Kochen bringen würde. »Ich züchte Ziegen.«
    Shan hielt einen Moment inne. Auch der Mann auf der Ahnentafel in den Bergen hatte Yuan geheißen. »Mein Name ist Shan Tao Yun«, erwiderte Shan. »Ich inspiziere Gräben, was bedeutet, dass ich mich meistens durch Schlamm und Dung schaufele. Ich habe nicht immer Gräben inspiziert. Sie haben nicht immer Ziegen gezüchtet.«
    Yuans Miene hellte sich etwas auf. »Ich war Geschichtsprofessor in Harbin.« Das war eine der großen Städte der Mandschurei. »Schon seit die Universität vor fünfundzwanzig Jahren wiedereröffnet wurde. Ich habe beschlossen, am Pionierprogramm teilzunehmen. Der Staat verspricht mir Landrechte, sofern ich fünf Jahre dabeibleibe. Und in der Zwischenzeit«  – er wies mit ausholender Geste auf den kargen, kalten Raum – »bekomme ich all das hier.« Er nahm eine Gabel und raspelte damit Späne von einem Teeziegel. Aus einem Zimmer am Ende des dunklen Flurs erklang ein Husten.
    »Ich habe einen alten Verwandten von Ihnen getroffen. Yuan Yi. Ich möchte ihn zu Ihnen zurückbringen.«
    Yuans Hand erstarrte mitten

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