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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Zellenblock, den Shan jemals betreten hatte, stank es hier beißend nach Urin, Erbrochenem und Bleichmittel. Sein Begleiter führte ihn wortlos an einem Tisch vorbei, neben dem eine Tafel stand, und stieß ihn in die mittlere von drei leeren Zellen.
    Es war bloß eine weitere von Liangs Lügen, eine der Taktiken, die Liang benutzte, um potenzielle Spitzel einzuschüchtern, versuchte Shan sich einzureden, während er das Überstellungsformular anstarrte, das der Major ihm unter das Hemd gestopft hatte. Doch er hatte den Hass gesehen, der in den Augen des Majors brannte. Und nichts in seinem Blick hatte auf einen Bluff hingedeutet. Er verachtete Shan, weil er sich von ihm verraten fühlte, und wollte ihm zu einem langsamen Tod in der Wüste verhelfen. Shan sank auf die wacklige Pritsche der Zelle und vergrub das Gesicht in den Händen. Er versuchte, nur an Lokesh zu denken, und stellte sich vor, wie sein Freund auf einem seiner geliebten Pilgerpfade wanderte, doch Liangs Drohungen hallten hartnäckig in seinem Kopf wider. Die Takla Makan. Bevor man ihn nach Tibet geschickt hatte, hatte er Wochen in einem der Wüstengefängnisse verbracht. Der heiße Wind dort hinterließ seine Spuren sowohl an den Gebäuden als auch an den Häftlingen, so dass sogar die neuesten und jüngsten Insassen alt und zerfressen aussahen. Sandstürme schoben fortwährend die Dünen hin und her und brachten über Nacht Ruinen zum Vorschein oder verwandelten Baracken in unterirdische Bunker. In seinen Albträumensah Shan immer noch eines der Gemeinschaftsgräber aus früheren Jahren vor sich, das der Wind freigelegt hatte. Mitten aus einer Sandwand hatten die skelettierten Füße von hundert Sträflingen geragt.
    Shan schritt die Zelle mit dem Blick eines Gefangenen ab, zählte die Schritte einer Runde, bemerkte ein Mauseloch unter der Pritsche und hob ein Stück Kreide auf, das von der Tafel über den Boden gerollt war und nun an den Eisenstäben lag. Schließlich nahm er Notizblock und Bleistift, die man ihm auf den Hocker neben der Pritsche gelegt hatte, und starrte das leere Papier lange Zeit an. Xiao Ko, schrieb er am Ende. Kleiner Ko. Sein Sohn. Der nächste Besuchstermin war in zwei Tagen, aber Shan würde ihn nicht wahrnehmen können. Sie würden nun beide im Gulag sein, im Bauch des Drachen, wie die Häftlinge das oft nannten. Er strich mit zitternden Fingern über den Namen seines Sohnes. Die herzzerreißenden Sätze formten sich in seinem Verstand, aber seine Hand war nicht in der Lage, den Bleistift zu bewegen.
    Ich gehe fort in die Takla Makan. Wenn Du mich das nächste Mal siehst, dann als eines in einer Reihe von Skeletten, die aus einer Düne auftauchen. Es sollte nicht so enden, Ko. Wir wollten uns mit Lokesh eine kleine Hütte in den Bergen bauen und all die Nöte der Welt unter uns vergessen. Aber der Drache hat mich doch noch gefressen.
    Ein hartes schwarzes Ding schien in ihm anzuwachsen, bis er nur noch eine kalte Leere verspürte. Ein Tibeter mittleren Alters wurde in eine der Nachbarzellen gestoßen. Der Mann fing an zu weinen.
    ***
    Der tibetische Gefangene weinte bis tief in die Nacht. Dann setzte er sich in die Mitte seiner Zelle und starrte die runde Abflussplatte im Zementboden an.
    » Om mani padme hum «, sagte er traurig.
    Shan trat ans Gitter und streckte dem Mann seine Gebetskette entgegen. Der Tibeter sah ihn überrascht an, stand dann wortlos auf und nahm die mala . Er kehrte an seinen Platz zurück, setzte sich und fing langsam an, das Mantra zu rezitieren. Seine Stimme gewann an Kraft.
    Shan sah ihm eine Weile dabei zu. Dann ging er zu dem kleinen Hocker und schrieb.
    Ich habe heute einen Falken gesehen. Er ist im Wind immer höher gestiegen, bis er nur noch ein kleiner Fleck am südwestlichen Himmel war. In dem Moment ist mir klar geworden, dass er von dort oben uns beide gleichzeitig sehen konnte. Vielleicht hast auch Du ihn bemerkt.
    Ko, es wird lange dauern, bis Du wieder von mir hörst. Es könnte sein, dass man Dich verlegt, um mich zu bestrafen. Doch Du sollst wissen, dass ich nach Dir suchen werde, sobald ich kann, und ich werde nicht aufhören, bis ich Dich gefunden habe. Bis dahin höre bitte auf die Wachen. Doch in erster Linie höre stets auf die Lamas.
    Er schrieb nur auf der oberen Hälfte des Blattes, damit er es zweimal falten und zugleich als Briefumschlag nutzen konnte. Shan Ko , schrieb er auf die Außenseite, 404. Baubrigade des Volkes.
    Früh am Morgen wachte er auf. Es war noch dunkel,

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