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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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immerhin wisse er, dass keine Medizin wirken könne, solange der Geist nicht bereit sei, sie zu akzeptieren. Er hat mir aufgetragen, hier jeden Tag Weihrauch zu entzünden und den Lapislazuli-Gott zu betrachten. Er sagte, ich solle keine Angst haben, den Weihrauch einzuatmen, denn in Rauch und Nebel würden Menschen und Götter sich treffen, und falls ich den Gott erwecken könnte, würde etwas von dem Nektar in meinen Körper gelangen.«
    Schweigend standen sie vor dem Altar. Shan erkannte, dass er weniger über die Gottheit meditierte als über Jamyang. Der Lama hatte ihm gegenüber nie einen Angehörigen erwähnt, doch diesem stillen, aufgeweckten chinesischen Mädchen hatte er von seinem Onkel erzählt und dabei bedauernd geklungen. Shan schaute zurück zu der Werkbank. »Er hat Sie gebeten, das Tagebuch einzuscannen? Er hat diese Worte benutzt?«
    Sansan löste mit einiger Mühe ihren Blick von dem Altar. »Ja. Es hat mich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass er etwas von Computern versteht. Aber in jener Nacht hat er mir das Gegenteil bewiesen.«
    »Was ist sonst noch passiert?«
    »Er hat sich erkundigt, wo ich hier ins Internet gelangen könnte, ob es noch einen anderen Ort als mein Haus gebe. Ich habe ihm erklärt, manchmal würde ich dafür das Café nutzen, denn der Besitzer, auch ein alter Professor, lasse hin und wieder die Verbindung offen, wenn er abends nach Hause gehe. Und er schließe nie die Tür ab.« Sie warf Shan einen bezeichnenden Blick zu. Peking verlangte von jedem Anbieter eines öffentlichen Internetzugangs, dass er die Identität aller Benutzer registrierte.
    »Sansan, das soll doch nicht etwa heißen, dass Jamyang Ihren Computer benutzen wollte.«
    »Genau das heißt es. Und er kannte sich mit den Überwachungsmaßnahmen aus. Er sagte, er würde verschleiern können, wessen Computer es war.«
    Shan starrte sie ungläubig an. Er wollte sie am liebsten schütteln und auffordern, sich gefälligst nicht solche Märchen auszudenken. Doch er sah ihren Blick und erkannte, dass sie wusste, was ihre Worte bedeuteten. Jamyangs Geist war nicht der Lama, den Shan gekannt hatte.
    »Was hat er gemacht?«
    »Es war nach Mitternacht. Ich habe ihn zum Teehaus gebracht und wollte draußen warten, aber er hat gesagt, ich solle weggehen. Im Befehlston. Einen Moment lang war er überhaupt nicht wie ein Lama. Eher wie … keine Ahnung. Ein Soldat. Er hat gesagt, er würde den Computer auf der Werkbank abstellen. Und hier hat der Laptop dann am nächsten Morgen auch gestanden, in eine dieser khatas gewickelt, als wäre das Gerät gesegnet worden. Der Café-Besitzer hat einen anderen solchen Schal an seinem Tresen vorgefunden, außerdem die Zeichnung eines kleinen Buddhas auf einer Serviette.«
    Shans Kopfschmerzen wurden wieder stärker. Er hatte das Gefühl, ihm würde alles entgleiten. Jede Wahrheit, an die er sich klammerte, wurde zu einer Unwahrheit. »Sansan, der Besitzer des Teehauses wurde von Major Liang in Gewahrsam genommen, weil er den Internetzugang nicht ausreichend kontrolliert hat.«
    »Aber er ist wieder da, Shan. Alles ist gut.«
    Er sah sie erschrocken an. »Das heißt nur eines, nämlich dass er kooperiert und von einem unbekannten Benutzer und dem zurückgelassenen Gebetsschal erzählt hat. Es bedeutet, dass Liang bekommen hat, worauf er aus war, und es ging ihm dabei nicht um die Morde.« Shan schaute zu dem Monitor, dachte an das verstörende Bild des chorten mit dem Hammer. Nichts ergab einen Sinn.
    Lokesh hatte einmal zu ihm gesagt, bisweilen könne man nur wissen, indem man nicht wisse.
    ***
    Shan berührte den Nebeneingang des Polizeipostens, zog dann seine Hand zurück und setzte sich stattdessen auf die Stufe. Er musste Meng sehen, wollte Meng sehen, hatte aber keine Ahnung, was er zu ihr sagen sollte. Die Sorge um Lokesh und Cora ließ ihn nicht los. Er wusste, in welch großer Gefahr die beiden schwebten und dass sie, jeder auf seine Weise, unschuldig waren.
    Während er in den Nachthimmel starrte, war er plötzlich wieder bei Ko. Es war der letzte Herbst, und bei seiner Ankunft brachte man ihn zum Krankenrevier der Sträflinge, das auch bloß eine weitere Baracke war, nur mit einzelnen Pritschen entlang der Wände anstatt mit zwei- oder dreistöckigen Etagenbetten. Sein Sohn litt an Fieber, einem unbestimmten und unbehandelten Fieber, verbunden mit großer Übelkeit, so dass er nichts im Magen behalten konnte. Ko war zu schwach, um zu sprechen, und Shan konnte bei seinem

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