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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Mann.« Mr. Stokill nahm der Kuh das Seil wieder ab und blickte mich mitleidig an. »Gewöhnliche Methoden nützen bei dieser da nichts. Ich melke sie zweimal am Tag, und ich kenne sie.«
    Er holte eine Rolle Schnur, die offenbar schon oft gedient hatte, befestigte das eine Ende am Hacken der Kuh und hakte das andere an einem Ring an der Wand des Kuhstalles fest. Es war gerade die richtige Länge, die Schnur war straff und hielt das Bein leicht zurück.
    Der Alte nickte. »Jetzt versuchen Sie es.«
    Schicksalsergeben griff ich wieder nach der Zitze. Es war, als hätte die Kuh sich geschlagen gegeben. Sie rührte sich nicht, als ich ihr den Klumpen aus dem Euter drückte.
    »Ach, vielen Dank, mein Junge«, sagte der Farmer. »Das war ein Meisterstück. Hatte mir schon Sorgen gemacht. Wußte nicht, was es war.« Er hielt den Finger hoch. »Noch eine Kleinigkeit. Eine Färse mit Magenbeschwerden, denke ich. War gestern abend ein bißchen aufgebläht. Sie ist in einem Stall auf der Weide draußen.«
    Ich zog mir den Mantel an, und wir traten hinaus, wo uns der Wind zur Begrüßung eisige Luft entgegenblies. Er schnitt mir wie mit Messern ins Gesicht, und ich lehnte mich mit tränenden Augen an die Stallwand.
    »Wo ist die Färse?« stöhnte ich.
    Mr. Stokill antwortete nicht sofort. Er zündete sich eine Zigarette an und schien sich der entfesselten Elemente nicht gewahr zu sein. Er drückte mit dem Daumen auf das Zündrad seines alten, kupfernen Feuerzeuges.
    »Da oben.«
    Er wies in eine Richtung, wo ich nur schneebedeckte Felder und Hügelhänge jenseits der schmalen Straße sah; und ganz hinten, dort, wo es von der Bergkuppe ins obere Moorland geht, erkannte ich einen kleinen Fleck, der eine Art von Scheune sein mußte.
    »Tut mir leid«, sagte ich, immer noch an die Wand gelehnt, »ich sehe überhaupt nichts.«
    Der alte Mann sah mich erstaunt an. »Die Scheune kann man doch deutlich erkennen.«
    »Die Scheune dort?« Ich zeigte mit zitternden Fingern nach oben. »Da kommen wir doch nie hinauf! Der Schnee liegt doch fast einen Meter hoch!«
    Er blies den Rauch genießerisch aus der Nase. »Wir kommen schon rauf. Keine Sorge.«
    Er verschwand im Stall, und kurz darauf kam er mit einem fetten, braunen Pony zurück. Ich schaute verdutzt zu, als er es sattelte, auf eine Kiste kletterte und aufstieg.
    Er winkte mir zu. »Gehen wir jetzt. Haben Sie Ihre Sachen?«
    Ich füllte mir die Taschen. Eine Flasche Mixtur für Pansenblähung, ein Trokar und eine Kanüle, eine Packung Enzian und Brechnuß. Ich tat es in der vagen Gewißheit, daß es vollkommen sinnlos war.
    Mr. Stokill ritt los. Ich folgte seinen Spuren und sah zu der Schneewüste hinauf, die sich vor uns ausbreitete.
    Mr. Stokill dreht sich im Sattel um. »Halten Sie sich am Schwanz fest«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    »Halten Sie sich am Pferdeschwanz fest.«
    Wie im Traum faßte ich die borstigen Haare.
    »Nein, mit beiden Händen«, sagte der Farmer geduldig.
    »So ist’s recht, mein Junge. Jetzt geht’s los.«
    Er schnalzte mit der Zunge, das Pferd trabte resolut bergan und ich auch.
    Es war so einfach! Die ganze Welt lag zu unseren Füßen, als wir immer höher stiegen, und ich lehnte mich zurück und genoß es, wie das kleine Tal sich immer weiter hinter mir erstreckte, bis ich sogar den Dale mit seinen hohen Hügeln sah und all die weißen und grauen Wolken darum.
    Vor der Scheune stieg der Farmer ab. »Na, ist es gut gegangen, junger Mann?«
    »Sehr gut, Mr. Stokill.« Ich folgte ihm in das kleine Gebäude und mußte über mich selbst lächeln. Der alte Mann hatte mir einmal erzählt, er habe mit zwölf Jahren die Schule verlassen, während ich dagegen den größten Teil meiner vierundzwanzig Lebensjahre mit Lernen und Studieren verbracht hatte. Und doch, wenn ich auf die eben abgelaufene Stunde zurückblickte, konnte ich nur zu einem Schluß gelangen:
    Er wußte viel mehr als ich.

9
     
    Wenn ich an Weihnachten denke, kommt mir stets eine bestimmte kleine Katze in den Sinn.
    Ich sah sie zum erstenmal bei Mrs. Ainsworth, als ich einen ihrer Hunde behandeln sollte. Zu meiner Überraschung hockte vor dem Kamin ein schwarzes kleines Fellbündel.
    »Ich wußte gar nicht, daß Sie eine Katze haben«, sagte ich.
    Mrs. Ainsworth lächelte. »Wir haben auch keine. Das hier ist Debbie.«
    »Debbie?«
    »Ja, so nennen wir sie wenigstens. Sie ist ein herrenloses Tier. Kommt zwei- oder dreimal in der Woche, und wir geben ihr zu essen. Ich weiß nicht, wo sie wohnt,

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