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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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ich nicht einmal an mein eigenes Geld heran …«
    Sie musste aufhören, die Stimme versagte ihr.
    »Was macht eigentlich dein Anwalt?«, fragte Margaret. »Diese Verfolgung kann man unmöglich hinnehmen. Dagegen müsste er doch etwas unternehmen.«
    »Kann er nicht. Wir können nur die Wahrheit sagen. Wenn Parrish weiterhin so lügt und Dokumente besitzt, die seine Lügen stützen, und wenn alles zusammenzupassen scheint, dann … Ich meine, der Richter konnte nicht anders entscheiden … Mein Wort steht gegen seines und er ist ein geachteter Mann, Kirchenvorsteher und wer weiß was noch alles. In den Augen des Gerichts bin ich ein unmoralisches Frauenzimmer, das in einer Lasterhöhle mit zwei Männern lebt. Was kann man da anderes erwarten? Ich dachte, es wäre ein Leichtes, in London unterzutauchen, aber, mein Gott, es ist, als würde man hinter Glas leben …«
    Margaret holte ein Notizbuch hervor und zückte einen kleinen silbernen Bleistift.
    »Fürs Erste«, befand sie, »brauchst du Geld, eine Unterkunft – «
    »Und ein Bad«, sagte Sally.
    Margaret notierte es in ihrer sauberen Kurzschrift, die sie nach dem Studium erlernt hatte.
    »Und auf längere Sicht brauchst du – «
    »Zeit, um Ermittlungen anzustellen. Sicherheit – ich muss wissen, dass – « sie deutete auf Harriet – »sicher ist. Es ist zu schwierig, das arme Ding überall mit hinzuschleppen. Ich habe den ganzen Tag nichts anderes getan, als auf sie aufzupassen, ihr zu essen und zu trinken zu geben und dergleichen. Das wäre alles in Ordnung, wenn ich nicht diesen Kampf mit Parrish zu bestehen hätte. Beides zugleich geht nicht. Ich brauche Zeit und Sicherheit. Und Geld. Darauf läuft es hinaus.«
    »Das kriegen wir schon hin«, schloss Margaret. »Für heute Nacht finden wir ein Hotel für euch beide. Ihr hättet auch bei uns unterkommen können, wenn meine Cousins nicht gerade jetzt da wären. Deshalb fehlt es an Platz. Morgen werde ich – «
    Plötzlich ergriff Sally Margarets Hand. »Da draußen«, stieß sie hervor, »die drei Männer … Ist der vordere nicht Parrish?«
    Margaret hob die Augen, holte rasch eine Handvoll Münzen aus ihrer Geldbörse und drückte sie Sally in die Hand.
    »Geh durch die Küche nach draußen«, sagte sie. »Da muss ein Hinterausgang sein. Aber beeil dich.«
    Sally packte Harriet, die zu überrascht war, um zu protestieren, und stürzte zur Küchentür. Hinter sich hörte sie eine laute Männerstimme und dann Margaret, die nach der Polizei rief. In der Küche stand ein junges Mädchen, das Toastscheiben mit Butter bestrich.
    »Entschuldigung«, sagte Sally. »Ein Notfall. Geht es hier zur Straße hinaus?«
    Das Mädchen war so verdutzt, dass es nur mit offenem Mund dastand. Sally riss die Tür auf und schaute in einen dunklen Hinterhof, der allseits von Mauern umgeben war. Harriet bekam Angst und fing an zu weinen.
    Da wurde die Tür zum Teesalon erneut aufgerissen und nun schrie das Küchenmädchen erschrocken auf. Der Mann in der Tür machte einen Satz nach vorn – und blieb plötzlich wie gebannt stehen, als er den Revolver in Sallys Hand sah.
    »Er ist geladen«, warnte Sally. »Und ich schieße auch. Nehmen Sie die Hände hoch und gehen Sie zurück durch die Tür. Miss – halten Sie sie auf.«
    Die beiden taten, was von ihnen verlangt wurde. Sally erkannte den Mann nicht: ein gewöhnliches Schnurrbartgesicht mit gewöhnlicher Kleidung. Er ging langsam durch die Tür und Sally folgte ihm.
    Der Teesalon, eben noch von lebhaftem Stimmengewirr erfüllt, war plötzlich totenstill. Hinter dem ersten Mann standen zwei andere – Parrish und ein weiterer, den sie nicht kannte. Margaret war aufgestanden, ebenso wie zwei Gäste, und blickte nervös, mit weit aufgerissenen Augen um sich. Beim Anblick des Revolvers erhoben sich auch die anderen Gäste und wichen zur Wand zurück.
    Die Stille hielt noch immer an, dann sagte Parrish plötzlich: »Sally, meine Liebe, auf diese Weise …«
    Sie funkelte ihn an wie eine Raubkatze, den Finger am Abzug. Sie spürte das Lodern in ihrem Blick und er machte einen Satz zurück.
    »Wo ist der Geschäftsführer?«, fragte Sally.
    »Ich leite das Geschäft«, sagte eine schwarz gekleidete Frau an der Kasse.
    »Haben Sie den Schlüssel für die Eingangstür?«
    »Ja.«
    »Dann kommen Sie jetzt mit mir nach draußen. Wenn Sie sich bewegen«, sagte sie, zu Parrish gewandt, »oder wenn die anderen Männer sich bewegen, schieße ich. Ich schieße Sie über den Haufen,

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