Der Tigermann
Stadt lebt.«
Die anderen nickten zustimmend.
»Der Tigermann ist zweifellos während des Tages ein normaler, ehrbarer Bürger. Jeder in der Stadt könnte diese nächtliche Bestie sein – einer der Kali-Priester, ein Kaufmann, sogar ein Angehöriger desPalastpersonals. Nicht einmal er selbst würde von seiner nächtlichen Verwandlung wissen, denn es liegt in der Natur der Lykanthropie, daß der Betroffene keinerlei Erinnerung hat, weder an seine Transformation, noch an die Untaten, die er in dieser Gestalt ausführt. Es ist möglich, daß er eine Lücke in seiner Erinnerung spürt, daß er sich nicht der Nachtstunden erinnern kann. Gewöhnlich fällt es ihm jedoch überhaupt nicht auf, da das erste Stadium seiner Verwandlung erst beginnt, nachdem er bereits schlafend im Bett liegt.«
Grant blickte ihn skeptisch an. »Aber um Himmels willen«, warf er ein. »Er muß doch das Blut an seinem Körper bemerken. Außerdem sterben nicht alle Opfer, ohne sich zu wehren. Er trägt sicher Kratzer und andere Wunden davon. Wie erklärt er sich denn das?«
»Danke, Major. Ihr Gedankengang ist logisch. In seiner Tierform ist sich der Tigermann durchaus seines Menschenkörpers bewußt. Er ist sich klar, daß er ihn beschützen muß. Nach jeder Tötung wäscht er sich. Und natürlich ist er nackt, wenn die eigentliche Umwandlung stattfindet. Ah ja, sie wollen sagen, daß ein unbekleideter nicht unerhebliches Aufsehen erregt, wenn er durch die Stadt schleicht, auch wenn nachts nur wenige Menschen unterwegs sind. Es wird wohl das beste sein, wenn ich Ihnen den Vorgang in allen Einzelheiten schildere, so wie er mir aus meinen Erfahrungen bekannt ist.
Der Lykanthrop liegt normalerweise bereits im Bett, wenn der unheimliche Drang durch seine Adern zu pulsieren beginnt. Wie jeder Somnambule steht er auf und kleidet sich an. Die Bestie gewinnt nur allmählich Herrschaft über ihn, müssen Sie wissen. Allein der Gedanke einer sofortigen Umwandlung wäre absurd.
Der Tigermann verläßt in seinem nachtwandlerischen Stadium sein Heim und wandert durch die schlafende Stadt. Außerhalb der Stadtgrenzen findet er zweifellos ein Versteck, das sich möglicherweisesein Unterbewußtsein während des Tags gemerkt hat.
Die Kleidung wird ihm zuwider, denn sie ist ein Zeichen des Menschseins, das seine Tierpersönlichkeit verabscheut und das es zu vernichten sucht. Darum befreit er sich von allen Kleidungsstücken, und damit beginnt die physische Transformation des Menschen in ein reißendes Tier.
Das Haupt- und Körperhaar wächst genauso schnell wie die Nägel an Fingern und Zehen. Sie formen sich zu Krallen, Klauen. Seine Muskeln werden hart, das Fleisch seines Gesichts nimmt etwas von der Bestie an, in die er sich verwandelt. Diese Transformation ist jedoch niemals vollkommen. Unter dem Tier bleibt doch die Grundstruktur des Menschen. Aber es ist ein Mensch, der sich wie ein Tier bewegt, der sich wie ein Tier benimmt, beziehungsweise noch viel bestialischer.
Soweit es Verletzungen betrifft, es gibt für ihn keine. Das Opfer kann dem Wertier keine zufügen. Weder Fingernägel, noch Zähne, ebensowenig wie Schläge oder irgendwelche Waffen, können ihm etwas anhaben. Das Opfer eines Werbären in Nordkanada schlug mehrmals mit der Axt auf die Bestie ein, ohne daß auch nur ein Tropfen Blut floß. Der Mann überlebte nur, weil der Werbär ihn auf einer Brücke angefallen hatte, von der er während des Kampfes stürzte. Fließendes Wasser ist übrigens eines von wenigen Dingen, das vor Werkreaturen schützt.
Nach dem Mord wird sich der Tigermann, wie ich bereits erwähnte, irgendwo, vielleicht in einem stillen Teich, waschen, zu dem Versteck laufen, wo er seine Kleidung gelassen hat, und dann in die Stadt und in sein Bett zurückkehren. Am Morgen erwacht er ohne jede Erinnerung an die nächtlichen Geschehnisse.«
»So ein Unsinn«, schnaubte der Major. »Euer Hoheit, dieser Mann ist ein Phantast, ein Scharlatan.«
Der Maharadscha runzelte die Stirn, aber er sagte nichts. Ermutigt fuhr Grant fort: »Wie, in TeufelsNamen, kann sich ein Körper so verändern wie Sie behaupten? Und sich wieder zurückverwandeln?«
Eli lächelte sanft. »Ich kann Ihre Skepsis verstehen, Major. Sie kommt mir immer wieder unter. Jeder zweifelt an der Existenz der Werkreaturen, außer jenen, die selbst mit ihnen in Berührung gekommen sind. Und von denen, die danach noch leben, gibt es in der Tat nur wenige.
Aber glauben Sie mir, Major, die Kräfte des menschlichen
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