Der Tigermann
tapferer Mann. Ich wollte, ich hätte die Kraft meines Vaters. Also, was sollen wir als nächstes tun?« Der Maharadscha erhob sich von seinem Thron und schritt leicht hinkend in der prunkvollen Durbar-Halle auf und ab.
»Was sollen wir tun?« wiederholte er.»Zuschlagen«, erwiderte Eli ernst. »Wo ist der Hohepriester jetzt? Im Palast?«
»Er würde nicht mehr leben, wenn er es gewagt hätte, hierherzukommen«,-versicherte ihm der Prinz. »Er ist im Tempel und trifft die Vorbereitungen für die Kalipuja -Nacht. Das ist, müssen Sie wissen, die bedeutendste Nacht für die Anhänger der Göttin der Vernichtung. Selbst ich kenne nicht das absolute Grauen der Zeremonien, die dieser Mensch ausführen läßt. Es gibt Blut dort, und Tod, und Angst, und Pein. Mehr weiß ich nicht.«
In diesem Moment betrat die Maharani Andra den Raum. Das liebliche Oval ihres Gesichts schien mehr aus Erstaunen als aus Ärger verzogen. Sie sah Eli, da er hinter einer Säule stand, nicht sofort.
»Du mußt Sayeed entlassen«, verlangte sie aufgebracht. »Er behauptet immer noch, er weiß nicht, wo dein Silberanzug ist. Er ist unauffindbar.«
»Ist das so wichtig?« Der Maharadscha zuckte die Achseln. »In meinen Schränken hängen tausend Anzüge. Es sind Sachen dabei, die ich nie wieder tragen werde.«
»Es ist wichtig. Wenn die Dienerschaft erst einmal zu stehlen anfängt…«
»Der Anzug wird schon wieder auftauchen. Sayeed ist uns seit Jahren ein treuer Diener… Aber Mr. Podgram legt sicher keinen großen Wert darauf, unsere kleinen häuslichen Probleme mit anzuhören. Was er mir von vergangener Nacht erzählte, ist von viel größerer Bedeutung. Er traf den Scheradmi -und Saiva.«
Ihre Augen weiteten sich, und der Maharadscha gab Elis Version der Ereignisse wieder.
»Sie – Sie haben diese – diese Kreatur also gesehen? Ist es ein Mann? Oder eine Bestie?«
»In jedem Menschen steckt eine Bestie«, erwiderte Eli düster. »Davon ist der ganze Prozeß der Lykanthropie abhängig. Gautama Buddha erkannte diese Dichotomie gleich am Anfang seiner Reisen. Wenn er, ein Prinz, ein Brahmane, die Leidenden vor seiner eigenen Tür nicht achtete, wie könnte dann irgendein Mensch ohne diese Anlage zur Bestie sein? Sie steckt in jedem, Eure Hoheit. Sie wartet nur darauf, von jenen, die die unheilige Macht dazu haben, an die Oberfläche gerufen zu werden.«
»Ich verstehe. Und kann diese Bestie auch in Frauen stecken?«
»Aber natürlich. Ich sagte ja, in jedem Menschen. Der berüchtigtste Werwolf in der Geschichte Transsylvaniens war im normalen Leben die Frau eines Arztes. Alle in ihrer Heimatstadt verehrten und schätzten sie. Sie pflegte die Kranken, fand neue Eltern für die Waisen, half jedem, wo sie nur konnte. Und doch wurde sie bei Neumond zur viehischen Bestie, die mehr als hundert Menschen zerfleischte.«
Andras Lippen zitterten, als sie Eli anblickte.
»Ich glaube Ihnen«, murmelte sie. »Ich selbst habe schon das Ungeheuer in mir gespürt. Meine Schwester neckte mich manchmal, als wir beide noch Kinder waren, so sehr, daß ich sie umgebracht hätte, wäre mir die Kraft dazu gegeben gewesen.«
»Jeder hat die Kraft«, versicherte Eli ihr ernst, »wenn er erst in die Schattenwelt getrieben wurde.« Er blickte auf seine Uhr. »Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich möchte ein bißchen in der Stadt herumhorchen. Mich interessiert, was man sich so erzählt.«
Er verbeugte sich und verließ die Halle.
Die Stimmung in der Stadt war von den Mienen der Passanten abzulesen. Eine Aura von Spannung und Erregung hing über Terrahpur.
In Begleitung Hugos spielte Eli die Rolle eines Touristen, der sich für Silbersachen, Seide und feine Schmiedearbeiten, für die die Stadt berühmt war, interessierte.
In einem winzigen Laden entdeckte er eine handillustrierte Ausgabe des Kamasutra in der Devanagrischrift, die er für einen Bruchteil des Preises erstand,für das er sie in London verkaufen konnte, sollte er je die Absicht haben. Aber das wäre sehr unwahrscheinlich, denn Eli war schon immer ein Sammler und nie ein Händler gewesen. Nicht etwa, daß er sich für erotische Literatur interessierte, aber diese Illustrationen – auf Mogul-Art seltsamerweise, nicht auf Hindu – waren einmalig.
Als er an einem Tempel Ganesas vorbeikam, betrat er ihn. Der joviale, gütige Gott mit dem Elefantenkopf, der die bessere Seite des Hinduismus verkörperte, war schon seit eh und je sein Lieblingsgott des hinduistischen Pantheons gewesen. Ganesa
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