Der Tigermann
daß er genau das erwartet hatte. Ohne Zweifel war der Hohepriester der Meister der Künste des Linken Pfads. Und Hypnotismus war bestimmt die erste dieser Künste, die er beherrschte – auch eine so starke Beeinflussung über weitere Entfernungen hinweg.
Der erste Akolythe trug ein seltsam geformtes flaches Gefäß aus Messing oder Gold. Es leuchtete schwach im Schein der Lampen und ruhte auf einem blutroten Kissen.
Der zweite trug, ebenfalls auf einem Kissen, einen Dolch mit sichelförmiger Klinge.
Saiva selbst trug nichts. Seine Hände waren über dem feisten Bauch gefaltet. Auf den schmalen Lippen spielte ein kleines geheimnisvolles Lächeln. Wußte er, daß sie hier waren?
Die drei schritten hinter Mara vorbei, dann traten die beiden Akolyten vor sie an den Altar. Sie ließen sich davor auf den Boden fallen. Der eine hob das Gefäß zur Göttin empor, der andere das Messer, während ihre Stirnen den blutbefleckten Stein berührten. Auf dem Bauch krochen sie ganz an den Altar heran und legten Gefäß und Dolch zu Füßen Kalis nieder.
Elis Geist versicherte sich der Anwesenheit seiner Brüder des Rechten Pfades.
»Wir sind bei dir«, echote es in seinem Kopf. »Wir wissen. Unsere Kraft ist nun auch die deine.’’
Saiva schritt nicht näher an den Altar heran. Er blieb neben dem Mädchen stehen, und seine halbgeschlossenen Augen musterten abschätzend das wehrlose Opfer. Dann betasteten seine dicken Finger den unschuldigen Körper. Eli hatte den Eindruck, als befingere Saiva das Mädchen, wie eine Hausfrau Geflügel auf dem Markt betasten würde, ohne Gefühl, ohneVerlangen. Und gerade das verriet die kalte Macht des Mannes. Er begehrte dieses Mädchen nicht wie Männer Frauen begehren. Er betrachtete und wollte sie nur als Opfer für die grausame Göttin, der er diente, um so Eli Podgram vernichten zu können.
Elis Geist rief jene, die ihm Rat geben konnten: »Was soll ich tun?« Und die Antwort kam. wie er sie erwartet hatte: »Einer unrechten Tat darf nicht mit einer anderen unrechten Tat begegnet werden. Darum warte. Du bist nicht allein, Bruder.«
Aber es war eine kaum zu ertragende Qual für ihn, den unschuldigen Körper von Saiva berührt zu sehen. Die Hand des Priesters zerrte an dem Kettchen und riß mit einem Mal so stark daran, daß es in Maras Nacken schnitt und Bluttropfen den Rücken herabrinnen ließ. Die Kette war zwar stabile Arbeit, aber Saiva hatte große Kräfte. Sie riß.
Verächtlich schleuderte der Priester Kette und Amulett auf den Boden. Das runde Gesicht lächelte befriedigt, als Mara auf ihre stumme Art zu weinen und schließlich zu schreien begann. Das Amulett hatte sie davor bewahrt, sich der Gefahr bewußt zu werden. Doch mit der Entfernung des Amuletts war auch der hypnotische Bann gebrochen.
Mara bemerkte nun, daß sie sich nackt und hilflos an diesem Ort des Bösen befand. An diesem Ort, der ihr nichts Gutes bringen konnte. Gab es denn keinen Schutz gegen diese Mächte der Finsternis, die in dieser Höhle allgegenwärtig schienen?
Eli spürte die Tränen der Hilflosigkeit, die in seinen Augen brannten.
Nun oder nie mußte Eli alle Kräfte herbeirufen, deren er sich bedienen konnte, aber er fühlte, wie schwach er im Grunde genommen war. Über Maras mentalem Qualschrei nahm sein Geistauch die sadistischen brutalen Gedanken des Triumphes auf, die von dem Priester auf ihn einströmten. Saiva zweifelte nicht im geringsten daran, daß er nun Sieger war.
Der Hohepriester konnte nicht wissen, daß er und Grant und Hugo hier draußen waren. Er konnte es nicht wissen, und doch wußte er es. Er hatte sie hierhergelockt, damit sie sich von seiner Macht überzeugten. Doch weshalb war er sich dieser Macht so sicher? Er hatte zwar das Mädchen, aber in den Gewehren des Majors wartete der Tod auf ihn und seine Akolyten. Elis Geist nahm den gemeinen Vorschlag des Priesters auf.
»Gib mir das Mädchen, und ihr könnt gehen. Geht und lebt, oder bleibt und kostet die Ewigkeit des Nichts. Gibst du mir das Mädchen nicht, müßt ihr alle sterben.«
Eli antwortete mit einem nur wenig bekannten Mantra Gautama Buddhas: »Es steht dem Menschen nicht zu, über das Leben eines anderen zu bestimmen. Der Tod ist leicht gegeben, doch nicht das Leben. Im Glauben an das Leben sage ich dir den Kampf an.«
Und es gab immer noch die schützende Jungfräulichkeit Maras als letzte Bastion ihrer Verteidigung. Die anderen, die fernen Brüder hatten diese Jungfräulichkeit bereits garantiert,
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