Der Tigermann
und ihre vereinten Kräfte wuchsen mit jeder Sekunde. Sie waren bei ihm, die fernen Brüder. Doch würde ihre Kraft schnell genug kommen?
Saiva warf ein boshaftes Lächeln in Richtung Dickicht. Er wußte also wirklich, daß sie hier waren. Aber das hatte er schon vom ersten Augenblick an gewußt.
Wieder rief Eli nach den Brüdern, aber sie schenkten ihm weder Trost, noch brachten sie ihn der Verzweiflung näher.
»Was sein wird, wird sein«, flüsterte eine Stimme in seinem Gehirn. »Jeder hat sein Karma, das nicht aufgehoben werden kann.«»Rettet sie!« rief er voll Qual. »Rettet sie!«
Aber kein Echo erklang in seinem Gehirn. Doch auf Saivas Gesicht las er einen plötzlichen sadistischen Entschluß.
»Laßt ihn kommen!« befahl der Hohepriester.
In diesem Augenblick löste sich aus den Schatten hinter dem Altar die grauenhafte Gestalt des Scheradmi, des Tigermannes von Terrahpur.
Die Bestie hatte schon fast menschliche Form. Das Gesicht bedeckte nur noch leichter Pelz, die gewaltigen Klauen waren bereits nicht mehr als lange Fingernägel, und seine Haltung die eines Menschen, der ein Tier nachahmt.
Es fehlte nicht mehr viel an seiner Rückwandlung zum Mann. Aber noch war er der Scheradmi, die mordlustige Bestie- und vor ihm befand sich sein Opfer.
Das hungrige Knurren, das aus seinem Rachen drang, hatte nichts Menschliches an sich. Es war der Ausdruck seines Verlangens nach Blut. Es war ein Laut, wie ihn kein Mensch jemals hören sollte; ein Laut aus allen Alpträumen vereint; ein Laut, der ein Gewissen aufrüttelt, wo es keines gibt. Elis Blut gefror.
Mit einem Satz sprang die Bestie auf die hilflose, am ganzen Körper zitternde Mara zu, die nun ihr Bewußtsein wieder voll erlangt hatte. Die Zunge hechelte aus dem Raubtiergebiß.
Das bedauernswerte Opfer vermochte sich nicht zu rühren, denn Maras Gehirn stand noch beschränkt unter dem Einfluß Saivas. Zwar war das Bewußtsein durch die Entfernung des Amuletts wiedergekehrt, doch ein Teil des Gehirns war noch wie gelähmt.
Der Hohepriester lachte. Und das Schrecklichste an diesem Lachen war die absolute Siegesgewißheit.
»Grant!« keuchte Eli.
Der Jäger warf sich herum.
»Töten Sie ihn! Jetzt!«
Der Major legte die Büchse an und starrte auf diegrausige Szene. Die haarige Bestie kauerte über dem Mädchen, dessen stummer Schrei die ganze Höhle erschütterte.
»Schießen Sie, Mann! Schießen Sie!« brüllte Eli, als die Hände, die noch Klauen waren, sich in die Haut des Mädchens krallten.
Er spürte mehr, als daß er sah, wie der Jäger den Abzug durchzog. Und dann knallte der Schuß der Elefantenbüchse. Die dreißig Gramm schweren nickelüberzogenen Bleikugeln fanden ihr Ziel. Daran bestand überhaupt kein Zweifel. Die Gewalt des Aufschlags schleuderte die Bestie zu Boden. Immerhin waren die Kugeln dafür bestimmt einen angreifenden Elefanten zu töten.
Doch unglaublicherweise erhob das Untier sich wieder.
»Die Silberkugeln«, stöhnte Eli. »Sie haben nicht die Silberkugeln verwendet.«
Kein Blut war an dem Tigermann zu sehen. Wo die beiden Kugeln durch den halbmenschlichen Körper hätten dringen müssen, hob sich im Fell nur der Eindruck des Aufpralls ab.
Als der Tigermann sich auf die hilflose Mara stürzte, überfiel Eli das Gefühl absoluten Versagens.
Er hatte seine Schlacht auf zwei Ebenen geschlagen. Und er hatte auf beiden verloren. Verzweifelt versuchte er die Kraft der fernen Adepten zu sammeln. Verzweifelt versuchte er einen neuen Plan zu fassen, der das Mädchen noch retten konnte.
Hinter sich hörte Eli ein Knurren, das kaum weniger tierisch als das der Bestie klang. Und schon drängte sich Hugo an ihm und an Grant vorbei, der fluchend seine Flinte nachlud.
Wie die Rache Gottes stürzte der Franzose in die Höhle, brüllte Obszönitäten, die glücklicherweise nur ein Landsmann aus der Camargue verstanden hätte.
Die Bestie blickte nicht einmal auf, als Hugo sich auf sie warf.
Hugo packte den Tigermann, der im Griff des Riesen wie ein begossener Hund aussah. Er hob das Untier hoch über seinen Kopf, wirbelte es herum und schleuderte es in hohem Bogen von sich.
Ein knirschendes Geräusch dröhnte durch die Höhle, als der Tigermann gegen die Statue prallte. Eli sah, wie das höhnische Lachen von Saivas Gesicht schwand und Furcht die Züge verzerrte.
Langsam, fast im Zeitlupentempo, neigte die Kali-Figur sich nach vorn. Im Fallen riß sie die Öllampen auf den Simsen unter sich mit zu Boden. Dunkelheit fiel
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