Der Tigermann
über das Grauen in der Höhle.
»Es sind keine schlimmen Verletzungen«, murmelte Eli, als er Maras zerschundenen Körper betrachtete. Aber die breiten Kratzwunden über Brüste und Bauch des Mädchens schienen ihn selbst körperlich zu schmerzen. Mara blickte von ihrem Bett im Palast vertrauensvoll zu ihm hoch. Sie vertraut mir, dachte er. Doch wären nicht Hugos übermenschliche Kräfte gewesen…
Halb von Wut, halb von Angst erfüllt, hatten sie Mara über den schmalen Pfad heruntergetragen. Es hätte keinen Sinn gehabt, in dem Labyrinth von Höhlen hinter der zerschmetterten Kali-Statue nach Saiva und seinen Konsorten zu suchen. Sie hatten sich nicht einmal näher umgesehen, denn es war viel dringender gewesen, das Mädchen in Sicherheit zu bringen, als ihren Rachegelüsten nachzugeben.
Und nun waren sie endlich im Palast angekommen. »Ich würde Ihnen empfehlen, sich in Ihr Bett zurückzuziehen«, riet Eli Major Grant. »Und du ebenfalls, Hugo.«
»Ich schlafe hier, bei der Tür«, weigerte sich der Franzose. »Ich habe kein großes Vertrauen in die Wächter.«
»Na schön.« Eli blickte sich im Zimmer um. Postenstanden auf dem Gang und vor der Tür. Hugo würde hierbleiben. Nicht einmal der Tigermann und auch nicht Saiva konnten in dieser Nacht noch einmal zuschlagen.
Eli fühlte sich ausgelaugt, leer, von jeglichem psychischen Leben verlassen. Er kehrte in sein Zimmer zurück und spürte den Druck des Sturms, den er selbst ausgelöst hatte, in seinem Kopf nachhallen.
»Bruder, wie ging es? – Es verlief alles, wie wir es wünschten. – Das Mädchen…«
Sein Geist antwortete. Jene, die ihm lauschten, wußten Bescheid. Eli sank in einen erschöpften Schlaf.
»Es ist entsetzlich«, stöhnte der Maharadscha. »Mein Geist dreht sich um wie mein Magen. Saiva – er ist ein unheimlicher, ein grausamer Mann.«
»Sie müssen sich seiner entledigen«, sagte Eli brüsk.
»Das wäre das beste. Ja, das wäre es.« Der Maharadscha seufzte und machte eine Geste, die seine Hilflosigkeit ausdrückte. »Aber wie könnte ich? In Terrahpur hat er, glaube ich, mehr Macht als ich. Ich habe zwar die offizielle Macht, aber die Menschen hier hören auf die Priester Kalis. Ich bin derjenige, der Änderungen bringt. Und ist es nicht so, daß alle Leute Änderungen, das Neue fürchten? Sagt ein altes Sprichwort nicht: Lieber der Teufel, den man kennt, als einen, von dem man noch nichts weiß?«
Wieder seufzte er. »Ich glaube, dieser Saiva ist der Teufel selbst. Aber sie kennen ihn.«
Seine Augen wirkten eingefallen in dem müden, ja fast resignierten Gesicht.
»Was können wir tun, mein Freund? Was können wir tun?«
Eli schwieg. Wie seltsam, daß ein Mann mit der absoluten despotischen Macht eines Maharadschas solche Angst vor einem gewöhnlichen Tempelpriester haben konnte! Ein Mann noch dazu, der westlich erzogen war.
Aber es gab keinen Zweifel, weder an der Ehrlichkeit, noch der Verzweiflung des Prinzen.
»Nur eines steht fest«, versicherte Eli ihm ruhig. »Wenn Sie Saiva nicht vernichten, wird er Sie vernichten. Natürlich muß ich mein persönliches Interesse in dieser Sache zugeben – denn zweifellos möchte er auch mich beseitigen.«
»Mein armer Freund.« Impulsiv griff der Maharadscha nach Elis Hand und nahm sie zwischen seine schlanken Finger. »Ich hatte kein Recht, Sie hierherzuholen. Ich habe Sie in den Schatten des Verderbens gebracht. Sie sind frei zu gehen. Ich lasse eine Kutsche anspannen und sorge dafür, daß Sie den nächsten Zug erreichen…«
»Nein, besten Dank«, lehnte Eli ab. »Es ist meine Lebensaufgabe, solche Perversionen der menschlichen Rasse zu bekämpfen. Mein Geist ist ausgebildet, gegen die Kreaturen der Schattenwelt vorzugehen. Ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich davonliefe. Ich bleibe!«
Plötzlich wurde Elis Stimme hart, als er mit der Faust auf die Armstütze des Stuhls schlug.
»Für mich darf es nur den Sieg geben, keinen Rückzug. Wenn ich hier sterben soll, mag es geschehen. Wenn Mara, wenn Hugo hier sterben sollen, dann ist es eben so bestimmt. Aber ich laufe nicht fort. Jenseits der Schattenwelt sind jene, die sie für ihre Zwecke benutzen, und wenn einer vor ihnen davonläuft, haben sie tausend Siege gewonnen. Wenn sie mich töten, gewinnen sie nur eine einzige Schlacht. Ich werde und muß diesen Krieg gewinnen, und jene, die mir beistehen, gewinnen ihn mit mir.«
»Dann soll es so sein, Eli Podgram. Sie sind ein guter Mensch und ein
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