Der Tigermann
Kalis hatten ein Kraftfeld gegen ihn errichtet. Es war eine Wand des Geistes, die er durchstoßen mußte, wollte er sein Ziel erreichen.
Er hatte den Hohepriester Saiva unterschätzt.Eine schier endlose Weile kam Eli sich wie ein Vogel vor, der gegen eine Glasscheibe flattert, während er verzweifelt versuchte, einen Weg durch diese Barriere zu finden, die weder zu sehen, noch zu fühlen war.
Er zog sich ein wenig zurück. Hier handelte es sich um etwas, das er erst gründlich überdenken mußte. Woher kam die Kraft, die das Feld aufgebaut hatte und aufrechterhielt? Es war kaum vorstellbar, daß Saiva tatsächlich ein Magus mit der Macht sein konnte, einen Adepten des Rechten Pfades zu besiegen,noch dazu, wenn dieser von den Brüdern unterstützt wurde. Er öffnete seinen Geist.
»Der Weg ist mir verschlossen«, dachte er. »Wie kann ich die Schranke überwinden?«
Die Brüder schwiegen. Einen Augenblick überfiel ihn Panik. Hatten sie ihn verlassen? Mußte er in dieser Stunde der Not den finsteren Mächten allein begegnen?
Er schwebte hin und her über den Tempel. Aber jedesmal, wenn er tiefer ging, hielt das Feld ihn zurück.
Sein Geist tastete sich durch den Äther, erklärte.
»Es ist eine Barriere. Wer hat sie errichtet?«
Aus der Ferne kam die beunruhigende Antwort: »Wir wissen es nicht. Wir raten dir, zu deinem Körper zurückzukehren. Du befindest dich in großer Gefahr.«
»Ich muß wissen, was mit Mara ist«, weigerte sich Eli. »Ich brauche eure Hilfe! Ihr müßt mir beistehen!«
Er erhielt keine Antwort. Mit einem Gefühl wachsender Hilflosigkeit umrundete er den Tempel, suchte immer wieder nach einer Lücke in der Barriere. Seine Verzweiflung steigerte sich mit jedem vergeblichen Vorstoß.
Es ist unmöglich, daß ein einzelner Magus ein solches Kraftfeld aufbauen kann, dachte er. Es gab hier etwas, das weit über sein Wissen, über seine Erfahrung ging. Und wenn die Brüder nicht zu helfen vermochten…
Eine eisige Hand griff nach seinem Herzen. Würde er unverrichteterdinge zum Palast zurückkehren müssen?
Würde er den Maharadscha überreden können, ihm einen Trupp seiner Gardesoldaten mitzugeben, mit denen er sich einen Weg in den Tempel erzwingen könnte?
Wieder schwebte er an das Tempeldach heran, während seine Gedanken sich immer noch mit dem unlösbaren Problem beschäftigten. Er hielt überrascht inne, als er bemerkte, daß er bereits viel tieferwar, als er zuvor gekommen war. Hatte er eine Lücke gefunden? Oder existierte die Barriere nicht mehr? Was war der Fall? Ein völlig geschlossenes Feld aufzubauen, ging nach seinem Ermessen über die Kraft jedes Adepten. Es war also möglich, daß er tatsächlich eine Lücke gefunden hatte. War jedoch andererseits das Feld aufgelöst worden, konnte das leicht eine Falle bedeuten.
Er berichtete den Brüdern und vernahm ihre besorgte Antwort.
»Wir spüren große Gefahr. Wir raten dir auch jetzt noch, sofort in deinen Körper zurückzukehren.«
Es war ein guter Rat, und er sollte ihn befolgen. Aber er tat es nicht. Er schwebte zum Tempeldach hinab und hindurch, und sein silbrigschimmernder Lebensfaden zog sich hinter ihm her.
Er kam in der finsteren Haupthalle heraus, deren Luft schwer von der Erinnerung an vergossenes Blut und menschliches Leiden war. Er musterte kurz die Kali-Statue und den gewaltigen Altar unter ihren Füßen.
Dann machte er sich auf die Suche nach Mara und Saiva. Die Gläubigen waren noch nicht eingelassen worden, aber die Priester und Akolyten beschäftigten sich mit den Vorbereitungen für Kalipuja.
Er brauchte nicht lange, bis er Saivas Zelle gefunden hatte – und Mara. Sie lag, immer noch bewußtlos, auf dem schmalen Bett des Hohepriesters.
Und Saiva beugte sich über sie.
Eli schwebte in eine Ecke des Raums, beobachtete und lauschte.
»Als erstes, meine kleine Memsahib«, murmelte der Priester kehlig, »wirst du mich mit der Ansicht deines Körpers erfreuen. Während unserer letzten Begegnung hatte ich nicht genügend Muße dazu. Dann – «
Hilflos, aber innerlich fast rasend vor Wut, mußte Eli mit ansehen, wie der Priester Mara den Sari auszog und danach das Hemdhöschen, und sie dabei lieblos hin und her rollte. Maras Körper war völligschlaff, entspannt durch irgendeine Droge. Was hatten sie ihr eingegeben? Opium schien das wahrscheinlichste, da es leicht zu beschaffen war. Aber es war natürlich möglich, daß die Priester Drogen besaßen, von denen die westliche Arzneikunde noch nicht einmal
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