Der Tigermann
Kandidaten geben – viele, viele mehr!
Als die Lichter wieder aufflammten, schmückte ein zweiter Menschenschädel Kalis Halskette.
»Der Maharadscha ist ausgegangen, kein Mensch weiß, wohin«, sagte Eli zu Hugo. »Wir können also nicht mit seiner Hilfe rechnen. Ich fürchte, wir sind auf uns allein gestellt.« »So ist es auch besser, M’sieu«, brummte der Franzose überzeugt. »Wir waren immer allein, nur wir drei.«
Er bewegte sich noch ein wenig steif, aber über den verbrannten Stellen hatte sich bereits eine neue gesunde Haut gebildet.
»Wir dürfen auch nicht länger warten«, murmelte Eli. »Wir müssen zum Tempel. Es ist Zeit für die Herausforderung.«
Sein Geist stellte sich auf die Brüder ein.
»Wir sind bei dir, Bruder«, flüsterten ihre Gedanken. »Wir leihen dir unsere Stärke. Aber selbst sie wird innerhalb des Tempelbereichs nicht genug sein. Hüte dich vor der List dieses Saiva…«
»Ich werde wachsam sein«, versprach Eli. »Aber jetzt muß ich mich auf den Weg machen.«
»So soll es sein. So muß es sein. Wir sind bei dir, Bruder.«
Eli spürte die Stärke der anderen ihn durchfluten. Und obwohl er grimmig dreinblickte, war doch Zuversicht in seinen Schritten, als er durch den Korridor des Palastes auf den Wachraum zuging.
»Seine Hoheit sagte, er würde mir einen Trompeter zur Verfügung stellen«, erklärte er dem diensthabenden Offizier.
»Ich habe keine derartige Anweisung«, behauptete der Angesprochene.
»Es ist der Befehl Seiner Hoheit. Und Seine Hoheit ist nicht hier. Sahen Sie ihn den Palast verlassen?«
Die wettergefurchten Züge des Offiziers wirkten verschlossen.
»Nein, Sahib. Ich habe Seine Hoheit nicht weggehen sehen.«
Eli las in seinem Geist und wußte, daß der Mann log. Der Maharadscha war ausgegangen – aber weshalb? Und wohin?
Wieder überfiel ihn das beunruhigende Gefühl, das er schon einmal während seiner letzten Audienz beim Maharadscha empfunden hatte. Da war etwas – etwas… Aber die bevorstehende Auseinandersetzungmit Saiva hatte Vorrang vor allem anderen.
»Ich brauche einen Trompeter«, wiederholte er und legte seine ganze beschwörende Kraft in diese Worte.
»Jawohl, Sahib«, erwiderte der Offizier hölzern und gab den entsprechenden Befehl.
Während der Trompeter sich bereit machte, hörte Eli schnelle Schritte näher kommen.
»Einen Moment, Professor! Ich komme mit!«
Major Grant trug seinen alten Vorderlader, und zwei neue Revolver hingen in ihren Halftern am Gürtel.
»Ich hörte von der Herausforderung«, kam er gleich zur Sache, »und dachte, ich könnte vielleicht von Nutzen sein.«
Eli zögerte. Was hatte den alten Haudegen bewogen, sich ihm anzuschließen? Bedeutete es vielleicht gar, daß er auf einmal an das Okkulte glaubte? Die Tatsache, daß er den Vorderlader trug, wies darauf hin, denn für ihn hatte er die Silberkugeln gegossen. Aber nicht einmal Silberkugeln vermochten eine Göttin zu erledigen. Er hatte gute Lust, den Jäger abzuweisen. Aber das war vielleicht die erste selbstlose Tat, zu der der Mann sich je durchgerungen hatte. Da durfte er ihn nicht von vornherein entmutigen.
»Vielen Dank, Major«, sagte er deshalb. »Ich freue mich, Sie bei mir zu haben. Wir müssen sofort aufbrechen.«
Die kleine Prozession schritt durch das Palasttor und über die fast leeren Straßen auf den riesigen Komplex des Kali-Tempels zu.
Eli und Hugo gingen voraus, gefolgt von Grant, der seinen Blick wachsam nach links und rechts wandern ließ, als befände er sich auf einem Dschungelpfad, auf der Fährte eines verwundeten Tigers. Aber kein Tiger konnte so gefährlich sein wie die Beute, hinter der sie heute her waren.
Unglücklich bildete der Trompeter den Schluß dieser seltsamen Prozession. Nur die eingefleischte Disziplin hielt ihn davon ab, sich umzudrehen und seine Beine in die Hand zu nehmen.
Ein Jungpriester flüsterte in Saivas Ohr.
»Er ist gekommen. Er wartet. Er verändert sich bereits.«
»Ich weiß, mein Sohn, ich weiß. Ich befahl ihn hierher. Bring jetzt das Mädchen.«
Von außerhalb der Tempelmauern drang schriller Trompetenklang, der sogar den Lärm in der Haupthalle überdröhnte, ja ihn sogar einen langen Moment zum Schweigen brachte.
»Nicht nur er«, lächelte Saiva zufrieden. »Auch unser Gast. Wir dürfen ihn nicht warten lassen.«
Die Stiefel an den dürren Beinen des Trompeters hallten auf dem Pflaster der Straße, die vom Tempel wegführte. Eli hatte den Gardisten entlassen, nachdem er das
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