Der Tod auf dem Nil
identifizieren können», schlug sie fröhlich vor. «Mir macht so etwas ja immer Spaß.»
Dann fing sie an vorzulesen: «Mrs. Allerton, Mr. T Allerton. Na, das ist ja leicht! Miss de Bellefort. Die haben sie an einen Tisch mit den Otterbournes gesetzt, aha. Ich möchte ja mal wissen, was die und Rosalie miteinander anfangen können. Wen haben wir dann? Dr. Bessner. Dr. Bessner? Wer weiß, wer Dr. Bessner ist?»
Sie richtete ihren Blick auf einen Tisch, an dem vier Männer saßen. «Ich vermute, das muss der Fette mit dem kahl rasierten Kopf und dem Moustache sein. Ein Deutscher, nehme ich mal an. Die Suppe scheint ihm sehr zu schmecken.»
Gewisse Schlürfgeräusche drangen zu ihnen herüber.
«Miss Bowers?», fuhr Mrs. Allerton fort. «Können wir die erraten? Es gibt ja drei oder vier Frauen – nein, die heben wir uns auf. Mr. und Mrs. Doyle. Tja, in der Tat die Prominenz dieser Tour. Sie ist wirklich sehr schön, und dieses bildhübsche Kleid, das sie anhat.»
Tim wandte sich um. Linnet, ihr Mann und Andrew Pennington hatten einen Tisch in einer Ecke bekommen. Linnet trug ein weißes Kleid und eine Perlenkette.
«Für mich sieht es nach gar nichts aus», befand Tim. «Einfach eine Stoffbahn mit einer Art Kordel in der Mitte.»
«Genau, Liebling», sagte seine Mutter. «Eine sehr nette Beschreibung nach Männerart für ein Modellkleid zu achtzig Pfund.»
«Ich begreife sowieso nicht, wie Frauen so viel Geld für Kleider ausgeben können», gab Tim zurück. «Ich finde das absurd.»
Mrs. Allerton nahm das Studium der Mitreisenden wieder auf. «Mr. Fanthorp muss einer von den vieren an dem Tisch da sein. Der beeindruckend stille junge Mann, der nie etwas sagt. Eigentlich ein ganz nettes Gesicht, umsichtig und intelligent.»
Poirot bestätigte das. «Intelligent ist er – ja. Er redet nicht, aber er hört sehr aufmerksam zu und er beobachtet auch. Doch, er nutzt seine Augen sehr. Eigentlich nicht der Typ, den man auf einer Vergnügungsreise in diesem Teil der Welt erwarten würde. Ich wüsste gern, was er hier macht.»
«Mr. Ferguson», las Mrs. Allerton weiter. «Ich nehme stark an, Mr. Ferguson ist unser antikapitalistischer Freund. Mrs. Otterbourne, Miss Otterbourne. Die kennen wir zur Genüge. Mr. Pennington? Alias Onkel Andrew. Sieht gut aus, finde ich –»
«Also, Mutter», sagte Tim.
«Ich finde wirklich, er sieht gut aus in seiner nüchternen Art», erklärte Mrs. Allerton. «Marke unbarmherziger Hai. Vermutlich die Sorte Mann, über welche die Zeitungen schreiben, auf der Wall Street tätig – oder heißt es in der Wall Street? Ich bin ganz sicher, der ist schwerreich. Als Nächsten haben wir Monsieur Hercule Poirot, dessen Talente derzeit wirklich brachliegen. Fällt dir nicht ein Verbrechen für Monsieur Poirot ein, Tim?»
Aber ihr gut gemeintes Witzchen schien ihren Sohn nur wieder zu verdrießen. Er zog einen Flunsch.
«Mr. Richetti», las Mrs. Allerton schnell weiter. «Unser italienischer Archäologenfreund. Dann Miss Robson und zu guter Letzt Miss Van Schuyler. Das muss diese ungemein hässliche alte Amerikanerin sein, die auf ausgesprochen vornehm machen und mit niemandem auch nur reden wird, der ihren höchst anspruchsvollen Maßstäben nicht genügt! Die ist doch richtig herrlich, nicht? Eine Art Museumsstück. Die beiden Frauen in ihrer Begleitung sind bestimmt Miss Bowers und Miss Robson – die eine vielleicht die Sekretärin, die dünne mit dem Pincenez, die andere eine arme Verwandte, diese erbarmungswürdige junge Frau, die sich offensichtlich wohl fühlt, obwohl sie behandelt wird wie eine schwarze Sklavin. Robson ist, glaube ich, die Sekretärin und Bowers die arme Verwandte.»
«Falsch, Mutter», grinste Tim. Er hatte plötzlich seine gute Laune wiedergefunden.
«Woher weißt du das denn?»
«Ich war vor dem Essen im Salon, und da hat die alte Schachtel zu der, die bei ihr war, gesagt: ‹Wo ist Miss Bowers? Hol sie sofort, Cornelia.› Und Cornelia ist davongetrottet wie ein folgsames Hündchen.»
«Ich werde mich mal mit Miss Van Schuyler unterhalten müssen», überlegte Mrs. Allerton laut.
Wieder grinste Tim. «Die lässt dich abblitzen, Mutter.»
«Ganz und gar nicht. Ich werde mir den Weg schon ebnen. Ich setze mich in ihre Nähe und unterhalte mich leise (aber unüberhörbar) und in gewählten Worten über sämtliche hochmögenden Verwandten und Freunde, die mir einfallen. Ich denke, die beiläufige Erwähnung des Herzogs von Glasgow, immerhin dein Cousin
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