Der Tod auf dem Nil
Schlagabtausch beendet war, lag der Landungssteg des Hotels vor ihnen. Mrs. Allerton murmelte fröhlich: «Tja, ja», und kletterte an Land. Der junge Mann sah ihr böse nach.
In der Hotellobby traf Poirot auf Jacqueline de Bellefort. Sie trug Reitsachen und vollführte eine ironische kleine Verbeugung. «Ich mache einen Eselsritt, Monsieur Poirot. Können Sie die Eingeborenendörfer empfehlen?»
«Ist das Ihr heutiger Ausflug, Mademoiselle? Eh bien, sie sind sehr malerisch – aber geben Sie nicht zu viel Geld für exotischen Trödel aus.»
«Der sowieso aus Europa importiert ist? Nein, so einfach bin ich nicht zu beschummeln.» Sie nickte kurz und ging hinaus in die strahlende Sonne.
Poirot packte zu Ende – was sehr unkompliziert war, da er seine Habseligkeiten immer in penibelster Ordnung hielt. Dann begab er sich in den Speisesaal zum frühen Mittagessen.
Nach dem Essen brachte der Hotelbus die Passagiere für die Fahrt zum zweiten Katarakt an den Bahnhof, wo sie den Eilzug Kairo-Shellal nehmen sollten, eine Strecke von zehn Minuten.
Die Gruppe bestand aus den Allertons, Poirot, dem jungen Mann in der schmutzigen Flanellhose und dem Italiener. Mrs. Otterbourne und ihre Tochter machten vorher die Tour zum Staudamm und nach Philae und sollten erst in Shellal auf den Dampfer kommen.
Der Zug aus Kairo hatte etwa zwanzig Minuten Verspätung. Aber schließlich kam er und es gab das übliche hektische Durcheinander. Eingeborene Gepäckträger, die Koffer aus dem Zug holten, kollidierten mit denen, die Koffer in den Zug brachten.
Endlich fand sich Poirot, ein bisschen außer Atem, aber mit seinem Gepäck, dem der Allertons und völlig unbekannten Koffern in einem Abteil wieder, während Tim und seine Mutter mit den restlichen vermischten Gepäckstücken irgendwo anders saßen. In Poirots Abteil thronte eine ältliche Dame mit sehr vielen Falten im Gesicht, einem steifen weißen Kragen, einem Haufen Diamanten und einem Gesichtsausdruck reptilienhafter Verachtung für den überwiegenden Teil der Menschheit. Sie schenkte Poirot einen aristokratischen Blick und zog sich hinter eine amerikanische Illustrierte zurück. Ihr gegenüber saß eine noch nicht dreißigjährige, dicke und ziemlich trampelige junge Frau. Sie hatte neugierige braune Augen, eher Hundeaugen, ungekämmte Haare und strahlte den enormen Wunsch aus, gefällig zu sein. In regelmäßigen Abständen sah die alte Lady über den Illustriertenrand und erteilte ihr Anweisungen. «Cornelia, leg die Decken zusammen.» – «Achte beim Aussteigen auf meinen Toilettenkoffer. Lass ihn auf gar keinen Fall von irgendjemand anders anfassen.» – «Vergiss mein Papiermesser nicht.»
Es war eine kurze Fahrt. Nach zehn Minuten hielten sie am Pier, wo die Karnak sie erwartete. Die Otterbournes waren schon an Bord.
Die Karnak war kleiner als die beiden Dampfer Papyrus und Lotus, die nur zum ersten Katarakt fuhren, weil sie für die Schleusen des Damms von Assuan zu groß waren. Die Passagiere begaben sich an Bord und bekamen ihre Kabinen zugewiesen. Das Schiff war nicht voll, deshalb wurden die meisten Fahrgäste auf dem Promenadendeck untergebracht. Dessen gesamter vorderer Teil bestand aus einem komplett verglasten Aussichtssalon, in dem die Passagiere sitzen und den Nil betrachten konnten, der sich vor ihnen auftat. Auf dem Deck darunter befanden sich ein Rauchsalon und ein kleiner Aufenthaltsraum und noch ein Deck tiefer der Speisesaal.
Nachdem er sein Gepäck in seine Kabine dirigiert hatte, trat Poirot wieder auf das Deck und sah zu, wie das Schiff ablegte. Er stellte sich neben Rosalie Otterbourne, die über die Reling lehnte. «Nun denn, auf nach Nubien. Sie sind froh, Mademoiselle?»
Das Mädchen holte einmal tief Luft. «Ja. Es ist, als ob man endlich wirklich alles hinter sich lässt.»
Sie fuhr mit der Hand durch die Luft. Die riesige Fläche Wasser vor ihnen hatte etwas Wildes, wie auch die kahlen, bis ans Wasser reichenden Felsmassive – und hier und da Reste von Häusern, verlassen und verrottet infolge der Stauprojekte. Die ganze Szenerie hatte einen melancholischen, fast unheimlichen Zauber.
«Die Leute hinter sich lässt», sagte Rosalie Otterbourne.
«Außer denen unserer eigenen Gruppe, Mademoiselle.»
Sie zuckte die Schultern. Dann sagte sie: «Irgendetwas an diesem Land erweckt in mir – böse Gefühle. Es bringt all die Dinge, die in einem brodeln, an die Oberfläche. Es ist alles so unfair – so ungerecht.»
«Ich bin da nicht
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