Der Tod des Bunny Munro
Einschätzung, das ist eine Tatsache. Helen Claymore trägt einen enges, schwarzes Tweedkostüm, das irgendwas Irrsinniges mit ihren Brüsten anstellt – sie militarisiert, zu Torpedos macht – und irgendwas Himmlisches mit ihrem Wasserbombenhintern. Helen Claymore sendet Bunny schon seit Jahren solche Signale, und Bunny holt tief Luft und öffnet sich für ihre Schwingungen wie ein Medium oder ein Spiritualist oder so was. Er lässt seiner Fantasie freien Lauf, merkt zum x-ten Mal, dass er keine hat, und stellt sich einfach nur ihre Vagina vor. Sie schwebt vor seinen Augen wie eine heilige Erscheinung, und für ein paar Sekunden oder Minuten – wer weiß das schon so genau? – sitzt Bunny einfach nur da und bestaunt dieses Wunder, und sein Schwanz wird hart wie eine verbogene Gabel oder eine Wünschelrute oder der Hebel am Spülkasten – irgend so was.
Dann wird hinter ihm zischend Luft ausgestoßen, und als Bunny sich umdreht, blickt er in das entsetzte, hassverzerrte Gesicht von Libbys Mutter, Mrs. Pennington. Sie bleckt sogar die Zähne. Auf frischer Tat ertappt, denkt Bunny, und senkt den Kopf zum Gebet.
Bunny Junior sieht zu seinem Vater hoch und dann zu Mrs. Pennington, lächelt ihr zu und winkt zaghaft. Seine Großmutter sieht ihn an, schüttelt zornig und traurig den Kopf und schluchzt laut auf. Ihr Mann, ein gut aussehender Kerl, der ein Jahr zuvor einen Schlaganfall hatte und jetzt im Rollstuhl sitzt, hebt eine verkrampfte Hand und legt sie auf ihre.
Auf einmal redet Vater Miles über »die Hinterbliebenen«, und als er Libbys »liebenden Ehemann« erwähnt, glaubt Bunny in der Gemeinde deutliche Unmutslaute zu hören – der Bad Guy wird ausgebuht. Vielleicht bildet er es sich auch nur ein, aber er setzt sich vorsichtshalber anders hin, kehrt ihnen allen den Rücken zu und schaut auf die Wand, als wolle er ihre geballte Verachtung an sich abprallen lassen.
Als er den Kopf wieder hebt, fällt sein Blick auf ein Gemälde der Jungfrau Maria, die das Jesuskind im Arm hält. Madonna mit Kind, steht auf einem lackierten Täfelchen darunter, und Bunny senkt den Kopf wieder, schließt die Augen und denkt an Madonna und ihre (wahrscheinlich) wachsenthaarte Muschi und daran, dass er in irgendeinem Interview gelesen hat, sie ließe sich gern den yogagestrafften Hintern versohlen.
Durch diese Tagträumereien dringt die geflüsterte Trauerrede für seine verstorbene Frau zu ihm durch, und plötzlich packt ihn ein drohendes Gefühl ihrer Gegenwart, merkwürdigerweise verbunden mit einer düsteren Vorahnung seines eigenen Verderbens. Er hält es nicht mehr aus.
»Warte hier«, flüstert er seinem Sohn zu.
Bunny schlängelt sich aus der Bankreihe heraus und schleicht mit gesenktem Kopf aus der Kirche. Geduckt huscht er über den grünen Rasen zu einem öffentlichen Toilettenhäuschen im Schatten einer wenig überzeugenden Palme, lehnt den Kopf an die graffitibeschmierte Wand der Kabine und holt sich einen runter. Er bleibt eine Weile so stehen, tastet dann schwermütig nach dem Klopapierspender, säubert sich und verlässt die Kabine.
Mit gesenktem Kopf steht Bunny vor der reflektierenden Edelstahlplatte, die über dem Waschbecken an die Wand geschraubt ist. Nach einer Weile nimmt er all seinen Mut zusammen und sieht hoch. Er macht sich halb auf die Fratze eines geifernden Ungeheuers mit hängendem Kiefer gefasst und ist angenehm überrascht, als er das Gesicht wiedererkennt, das ihm da aus dem verschmierten Spiegel entgegenblickt – warm, liebenswürdig und mit Grübchen. Er tätschelt die Pomadelocke auf seiner Stirn und lächelt sich zu. Er geht dichter an den Spiegel heran. Yeah, da ist er – der unwiderstehliche Bunny Munro mit seinem betörenden Charme –, ein bisschen ramponiert zwar, aber wer wäre das jetzt nicht?
Dann, als er genauer hinsieht, bemerkt er noch etwas anderes. Er geht noch dichter an den Spiegel. Sein Gesicht hat einen schmerzlichen Zug bekommen, der seinen üblichen Magnetismus noch verstärkt, wie Bunny verblüfft feststellt. Seine Augen haben einen so intensiven Ausdruck wie nie zuvor – in ihnen liegt ein tragisches Leuchten mit unermesslichem Potenzial, das spürt Bunny ganz genau, und er wirft dem Spiegel ein gefühlvolles, trauriges Lächeln zu und ist fassungslos über seine neu entdeckte Anziehungskraft. Er kramt in seinem Gedächtnis nach irgendeinem Promi, der nach einem schweren Schicksalsschlag besser aussah als vorher, aber ihm fällt keiner ein. Er fühlt sich
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