Der Tod des Bunny Munro
Kuckuck. Als die Frau sagt: »Unsere Kinder werden ihrer Kindheit beraubt«, hört er seinen Vater den Satz nachsprechen, einmal und dann noch einmal, als würde er ihn sich merken für später. Dann wird das Auto langsamer und kommt knirschend und quietschend zum Stehen.
»Wir sind da«, sagt Bunny. »Alles okay mit dir?« Bunny Junior hört ein gereiztes Beben in der Stimme seines Vaters – wahrscheinlich gilt es nicht ihm, sondern der ganzen Welt.
Bunny Junior schlägt die Augen auf und lächelt seinen Dad steif an, und dann gehen sie zusammen über den Kiesweg zu der Handvoll Leute, die um das Fleckchen Erde herumstehen, das die letzte Ruhestätte seiner Mutter sein wird. Bunny und Bunny Junior murmeln Entschuldigungen und schlängeln sich durch die Trauergäste hindurch zum Grab.
8
Bunny Junior hüpft von einem Fuß auf den anderen und versucht, dem Pfarrer zuzuhören, aber er versteht ihn schlecht und kann sich sowieso nicht richtig konzentrieren, weil ihn zwei Möwen, die anscheinend mitten in einem Balztanz oder so was sind, total ablenken. Bunny Junior hasst Möwen. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Er hält den Kopf gesenkt, sieht aber aus dem Augenwinkel, dass die Möwen gefährlich nahe kommen. Erst vor Kurzem hat er im Argus gelesen, dass in Hove ein Rentner von einer Möwe angegriffen wurde. Der alte Mann bekam einen Herzinfarkt und starb, und wenn seine Frau die Möwe nicht verjagt hätte, hätte sie ihm ganz sicher die Augen ausgepickt, und womöglich auch noch die Gedärme.
Hinten in der kleinen Menschentraube entdeckt Bunny Junior Poodle, einen Freund seines Vaters von der Arbeit; er wippt mit dem Fuß, wackelt mit den Hüften und zieht an einer Zigarette, die er in der hohlen Rechten hält. Poodle trägt Kopfhörer. Bunny Junior lächelt ihm zu, und Poodle zeigt ihm heimlich einen hochgestreckten Daumen. Poodle ist hager und trägt eine enge Stonewashed-Jeans (selbst zu einer Beerdigung), und auf seiner Stirn sitzt eine gelbe Lacktolle. Dadurch sieht er ein bisschen wie, na ja, ein böser Pudel aus, und Bunny Junior überlegt, was wohl zuerst da war – der Name oder die Frisur. Poodle fixiert die Möwen, schnippt dann seinen Zigarettenstummel weg und trifft eine der beiden mit frappierender Präzision seitlich am Kopf. Poodle boxt in die Luft und sagt »Ja!«, laut genug, dass sich ein paar Leute umdrehen und ihn ansehen. Seine Freundin, die irgendwas Traubenfarbenes an der Oberlippe hat, stößt Poodle den Ellbogen in die Rippen. Poodle senkt den Kopf zum Gebet. Dann zwinkert er Bunny Junior zu und verdreht die Augen, und als er lächelt, sieht er aus wie ein grinsender Hund. Von allen Freunden seines Vaters mag Bunny Junior Poodle am liebsten. Keine Frage.
Die Möwe kreischt ohrenbetäubend, pickt die Zigarette auf und fliegt mit ihrer Beute im Schnabel davon. Bunny Junior ahnt, dass das West Pier wahrscheinlich wegen eines Vorfalls wie diesem abbrannte – Mensch lässt Zigarettenstummel fallen, Möwe pickt ihn auf und hält ihn für Futter, fliegt damit zum West Pier und lässt ihn in ein Nest voller Möwenküken fallen. Das Nest im Dachstuhl des alten, verlassenen Ballsaals geht in Flammen auf, der Pier fängt Feuer und brennt ab. Bunny Junior mag den West Pier sehr, weil seine Mutter ihm zu seinem achten Geburtstag eine Sonderführung über den Pier schenkte, und danach waren sie zu Marroccos spaziert und hatten Eis gegessen. Bunny liebt den West Pier und hasst Möwen. Er findet, sie sind Mistviecher. Im weltberühmten Booth Museum an der Dyke Road stehen ein paar ausgestopfte Exemplare, und Bunny Junior hat irgendwo gelesen, dass die Möwen an der englischen Südküste besonders groß sind, vielleicht sogar die größten der Welt. Außerdem sind sie am aggressivsten. Und dann hat er sich noch gemerkt, dass Möwen beim Scheißen tatsächlich auf Menschen zielen. Das ist wirklich wahr. Und auf helle Farben wie Gelb, deshalb sieht der Punto auch immer aus wie Sau. Sein Vater hasst Möwen fast so sehr wie Bunny Junior. Sie sind fiese Krawallbrüder. Das ist eine erwiesene Tatsache.
Bunny Junior sieht, wie der Sarg seiner Mutter in das Loch im Boden gelassen wird. Der Kasten wirkt viel zu klein. Für einen Moment glaubt Bunny Junior, dass vielleicht ein schrecklicher Fehler passiert ist und die falsche Person beerdigt wird – ein Kind vielleicht oder ein Zwerg, womöglich sogar ein Tier, ein Schäferhund oder ein Irish Setter oder so.
Er könnte sich vorstellen,
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