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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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dass seine Mutter aufkreuzt und fragt: »Was machst du denn hier, in diesem feinen Aufzug?«
    Bunny Junior würde ungläubig den Kopf schütteln und antworten: »Weiß ich auch nicht, Mum.«
    »Na, dann lass uns mal nach Hause gehen, Bunny Boy«, würde sie sagen.
    Der Junge spürt, dass sein Vater neben ihm eine ungeheure Hitze abstrahlt. Der sieht zu ihm runter und zischt aus dem Mundwinkel: »Mensch, Bunny Boy, was hast du denn? Hör auf mit dem Gezappel!«, laut genug, dass es alle hören. Bunny Junior steht still, senkt wieder einmal den Kopf und schließt die Augen.
    Bunny sieht sich unter den Trauergästen um und stellt mit einer gewissen Erleichterung fest, dass Poodle, Raymond und Geoffrey alle zur Beerdigung gekommen sind. Poodle und Raymond haben ihre aktuellen Freundinnen mitgebracht. Er weiß nicht genau, warum. Düster erinnert er sich, in einem völlig zugedröhnten Telefonat mit seinem Boss Geoffrey vorgeschlagen zu haben, sie könnten danach alle noch auf ein paar Bier mit zu ihm kommen. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht.
    Poodles Freundin ist groß, hat ellenlange Beine und trägt ein Kleid in der Farbe von Schneckenkorn, und für Poodles Verhältnisse ist sie echt verdammt heiß. Selbst vom Grab aus sieht Bunny, dass sie ein kleines, kräftig rotes Muttermal an der Oberlippe hat. Sie sieht aus, als hätte sie Heidelbeereis gegessen. Bunny wundert sich, dass ihn das erregt, denn normalerweise ist bei ihm sofort der Ofen aus, sobald irgendwas von der Norm abweicht.
    Am anderen Ende der Skala liegt Raymonds Freundin. Sie ist definitiv nicht heiß. Raymonds Freundin heißt Barbara oder so, ist schon seit etwa zehn Jahren Raymonds Freundin und ist, nun ja, halt Raymonds Freundin. Ihr Körper und ihr Gesicht sind derart unspannend, dass sie praktisch unsichtbar wäre, trüge sie nicht ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Ich bin nicht 40 , sondern 18 mit 22 Jahren Erfahrung«. Allerdings geben Raymond und Barbara ein gutes Paar ab, denn auch Raymond besitzt keinerlei nennenswerte Persönlichkeit.
    Geoffrey, Bunnys Boss, ist allein unterwegs. Er hat seinen ausladenden Hintern auf einem Regiestuhl geparkt und tupft sich mit seinem weißen Taschentuch das Gesicht ab. Für einen kurzen Moment glaubt Bunny, auf Geoffreys aufgedunsenen Wangen echte Tränen zu entdecken, aber er weiß es nicht genau. Eine Welle von Gefühlen schwappt in ihm hoch, und ihm ist nach Weinen oder weiß der Geier was zumute. Er schaut wieder nach vorn und merkt, dass der Singsang am Grab zu Ende ist und Father Miles ihn verdutzt ansieht. Offenbar erwartet der Pfarrer irgendwas von ihm. Bunny tritt ans Grab, nimmt eine Handvoll Erde und wirft sie auf den Deckel des schlichten Mahagonisargs. Dabei legt sich eine Art Dunkelheit über ihn.
     
    Bunny sitzt auf einer Bank unter einer kleinen Eiche.
    »Alles in Ordnung mit dir, Dad?«, fragt der Junge.
    Bunny sieht sich um, und die Welt um ihn herum rückt wieder in den Fokus.
    Poodle, Raymond und Geoffrey kommen auf ihn zu. Bunny deutet mit dem Kopf grob in Richtung zu Hause, und die drei Männer und ihre Freundinnen drehen sich um und gehen zum Parkplatz. Dann sieht er, wie Libbys Mutter, Mrs. Pennington, ihren Mann mit einem Ausdruck eiserner Entschlossenheit im Rollstuhl über den Kiesweg schiebt.
    »Warte hier«, befiehlt Bunny seinem Sohn. »Geh … äh … geh spielen.«
    »Okay, Dad«, antwortet der Junge und sieht besorgt zu seinem Vater hoch. Er macht einen großen Bogen um die jetzt allein herumtippelnde Möwe mit dem gruseligen gelben Auge und geht.
    Bunny steht auf und folgt Mrs. Pennington über den Kiesweg, und währenddessen wälzt sich eine Ansammlung von Haufenwolken vor die Sonne, und ein schwarzer Schatten wandert über den Friedhof. Ein kalter Wind kommt auf. Mrs. Pennington stellt den Jackenkragen ihres Mannes hoch. Bunnys pomadige Stirnlocke zerfällt und peitscht ihm um die Augen und er ruft: »Mrs. Pennington! Ich muss mit Ihnen reden!«
    Mrs. Pennington bleibt unvermittelt stehen und reißt ihren Mann herum, und das Kraftfeld des Hasses, das sie umgibt, haut Bunny fast aus den Socken. Sie zittert sichtlich und umklammert mit ihren schwarzen Handschuhen die Griffe des Rollstuhls.
    »Ähm … Mrs. Pennington«, stammelt Bunny.
    »Können Sie sich vorstellen, wie sehr ich Sie verabscheue?«, zischt die Frau.
    »Mrs. Pennington, ich wollte mit Ihnen reden«, sagt Bunny und denkt: ›Mann, die ist ja vielleicht geladen.‹
    »Wie bitte?«, faucht sie. Groll

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