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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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kunstvoll zurechtgekämmt und erinnert an etwas Musikalisches, einen Notenschlüssel vielleicht oder einen Geigenkopf, und obwohl er erschreckend rote Augen hat und seine Hände so sehr zittern, dass er sie lieber nicht aus den Taschen nimmt, sieht er, oberflächlich betrachtet, dynamisch und gut aus. Er trägt einen marineblauen Anzug, ein Hemd mit kleinen braunen Rauten und seine Lieblingskrawatte – die mit den Comic-Hasen darauf. Er sieht zu Bunny Junior runter und lächelt. ›Was ist denn jetzt los?‹, denkt Bunny Junior, und dann: ›Oh Mann, gleich passiert bestimmt was Tolles!‹
    »Hallo, Dad!«, sagt der Kleine.
    »Hast du einen Koffer?«, fragt Bunny.
    »Weiß ich nicht, Dad.«
    »Na, dann such mal!«, entgegnet Bunny und schwingt in gespieltem Zorn die Arme zur Seite. »Herrgott nochmal! Hab ich dir denn gar nichts beigebracht?«
    »Wozu denn, Dad?«
    »Was soll das heißen, ›Wozu denn?‹«
    »Wozu brauch ich einen Koffer?«, fragt der Junge. Er schickt mich fort , schießt es ihm durch den Kopf, und er spürt, wie alle Luft aus ihm entweicht.
    »Na, was glaubt du wohl, wozu du einen Scheißkoffer brauchst?«, fragt Bunny.
    »Verreise ich?«, fragt der Junge, hüpft von einem Fuß auf den anderen und wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn.
    »Nicht du«, erwidert Bunny, »wir …«
    »Wir?«
    »Ja, genau.«
    »Wohin verreisen wir denn, Dad?«
    Bunny Junior trägt eine kurze Hose, Flip-Flops und ein verschossenes T-Shirt mit dem Aufdruck eines orangefarbenen, wie gepflastert aussehenden Mutanten namens »Das Ding aus einer anderen Welt«. Das T-Shirt ist ihm ein paar Nummern zu klein und völlig durchlöchert, aber der Kleine trägt es aus Nostalgiegründen, die nur er versteht.
    »Wir hauen ab!«, sagt Bunny und zeigt mit dem Daumen über die Schulter in Richtung große, weite Welt.
    »Echt?«, fragt der Junge und strahlt über alle vier Backen.
    »Echt«, sagt Bunny. »Aber nicht, solange du aussiehst wie ein beschissener Hobo. Das ist die Verkäuferregel Nummer eins: Zieh dich anständig an.«
    »Nur du und ich, Dad?«, fragt der Kleine, schält sich aus dem T-Shirt, knüllt es zusammen und feuert es durchs Zimmer.
    »Nur du und ich, Bunny Boy.«
     
    Draußen strahlt die Morgensonne, und über den blauen Himmel ziehen optimistische weiße Wolken. Von Nordosten her weht eine Brise und trägt noch einen schwachen Hauch von Arktis mit sich. Bunny und Bunny Junior gehen die Treppe runter und schleppen ihre Koffer über den Hof. Einfach dadurch, dass er die Wohnung verlässt, spürt Bunny neuen Optimismus und neue Kraft in sich. Er lächelt. Er pfeift.
    Bunny sieht Cynthia, die wie ein Omen auf der Schaukel des winzigen Kinderspielplatzes sitzt. Sie trägt kurze Bermudas mit weißen Aufschlägen und ein weißes Top, und ihre mattweißen Zehennägel schimmern auf dem schwarzen Gummiboden wie Opale.
    »Wo wollt ihr denn hin?«, fragt sie und lächelt Bunny an. Ihre Zahnspange blitzt im Sonnenlicht.
    »Wir machen den Abflug«, sagt Bunny Junior, der irgendwo eine Sonnenbrille aufgetrieben hat. Er zeigt mit dem Daumen auf den Punto, der auf dem Parkplatz steht. »Also, wir sind weg«, sagt er.
    Bunny, der wie in Trance auf die Stelle gestarrt hat, wo die vier Nähte von Cynthias Shorts zusammenlaufen, sagt: »Jep, wir sind weg.«
    »Schade«, sagt Cynthia, beugt sich vor und offenbart einen schneeweißen Stringtanga, der aus dem süßen Doppelbogen ihrer samtigen Pobacken aufsteigt.
    »Heilige Scheiße!«, sagt Bunny leise. Er schaut hoch zum dritten Stock, und seine gelbe Wohnungstür wirkt wie ein Fluch oder eine Verwünschung oder so was. Ein kaltes Rühren geht durch seine Eingeweide. »Ja, Cynthia, wir sind endgültig weg.«
    »Schade«, sagt Cynthia unnötigerweise und lässt eine Kaugummiblase platzen. Sie hebt die Beine, lehnt sich zurück und bringt die Schaukel in Schwung.
    »Komm, Dad«, sagt Bunny Junior, und sie gehen zusammen über den Parkplatz. ›War ja gar nicht so schlimm‹, denkt Bunny, als er den Kofferraum öffnet und die beiden ihre Sachen hineinwerfen. Sie steigen ins Auto, und Bunny lässt den Motor an, der gequält aufstottert und kurz darauf läuft.
    Bunny Junior steckt den Kopf zum Fenster raus. »Der Himmel sieht wie ein riesiges Schwimmbecken aus, Dad«, sagt er ungefragt.
    »Ach ja?«, erwidert Bunny, setzt Cynthias Shorts außer Betrieb und stellt sich das Vor und Zurück ihrer pendelnden Spielplatzmuschi vor.
    »In Olympiagröße«, sagt der Junge.
    Bunny fährt

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