Der Tod des Bunny Munro
ich muss los«, sagt River, erhebt ihren perfekten, von diversen Säften glitschigen Apfelarsch in die Luft des frühen Morgens und sucht unter dem Sofa nach ihrem kanariengelben Slip.
Kurz darauf verschwindet River und zieht die Wohnungstür hinter sich zu, und Bunny stellt sich auf dem Sofa schlafend. Aber in Wahrheit gehen ihm tausend Sachen durch den Kopf. Zum Beispiel, dass er aufstehen und sich eine Hose anziehen sollte, bevor Bunny Junior aufwacht. Außerdem fragt er sich, was seine Frau wohl von ihm will, und hofft, dass er in Zukunft von Spuk und übernatürlichem Besuch verschont bleibt. Ein Schauder überkommt ihn, als er überlegt, ob das Gefühl der Entkörperlichung während der Nummer mit River wohl ein dauerhafter Zustand ist – womöglich ist er als Weltklassestecher jetzt erledigt. Vielleicht hat Libbys Selbstmord ihn verhext. Oder verflucht. So was gibt es. Es kursieren Dutzende von Geschichten über Leute, die durch scheinbar harmlose Ereignisse, die nichts mit ihnen zu tun hatten, völlig aus der Bahn geworfen wurden. Poodle hat Bunny erst neulich von einem Schneckenchecker aus Portslade erzählt, der nach einem Celine-Dion-Konzert völlig abkackte. Er bekam einfach keinen mehr hoch. Es war, als würde er einen toten Kanarienvogel in den Geldautomatenschlitz zu schieben versuchen, hatte der Typ Poodle erzählt. Und am Ende gab er es auf und wurde Landschaftsgärtner in Walberswick. Schreckliche Geschichte. Wie dem auch sei. Bunny weiß genau, dass es auf dieser Welt Dinge gibt – große Rätsel –, die er nie kapieren wird. Außerdem fragt er sich mit einer nagenden Angst im Bauch, ob er es wohl je auf die Reihe kriegen wird, seinen schwer kranken Vater zu besuchen. Und dann kreisen seine Gedanken auf abstrakte Weise um seinen Sohn, Bunny Junior. Was zum Teufel soll er mit ihm machen? Was fängt man mit einem Kind an, das kaum weiß, wo der eigene Arsch hängt? Aber am meisten beschäftigt ihn die Frage, wie er es auch nur eine Nacht länger in dieser Dreizimmersozialwohnung aushalten soll, in der es spukt, die Atmo vergiftet und das Juju völlig im Arsch ist. Während Bunny so auf dem Sofa liegt, wird ihm klar, dass er das verdammt nochmal nicht packt.
Aber obwohl diese Fragen wie Hausdächer, Traktoren und Kühe bei einem Tornado in Bunnys Kopf herumwirbeln, arbeitet ein anderer Teil seines Geistes – der Plotter, der Gestalter, der Plänemacher – still und leise auf Hochtouren und geht alle Punkte durch, um einen Ausweg zu finden.
Und nach einer Weile kommt die Erleuchtung, nicht wie ein greller Blitz, sondern mehr so, als schalte sein Herz in einen anderen Gang, als weiche das Grauen von ihm oder als stabilisiere sich seine innere Chemie. In diesem Moment weiß er, was er tun muss, und dieses Wissen verschafft ihm eine enorme Erleichterung. Die Lösung stand ihm, wie so oft, die ganze Zeit schon vor Augen.
Bunny lächelt, drapiert Rivers kanariengelben Slip auf seinem Gesicht, saugt am Schritt und spritzt glücksselig ab, dann sinkt er in einen tiefen, aufgeräumten Schlaf und denkt: ›Alles easy, kein Problem, Vagina, Vagina.‹
Zweiter Teil
Handlungsreisender
12
Bunny Junior liegt in seinem Zimmer auf dem Boden und liest in seiner Enzyklopädie. Der Teppich ist dünn, und seine Knie und Ellbogen tun weh, weil er schon so lange in derselben Haltung liegt, und er überlegt, ob er aufstehen und ins Bett gehen soll. Aber er weiß auch, dass die unbequeme Stellung ihn wach hält, seine Wahrnehmung und sein Gedächtnis schärft. Er ist gerade dabei, Wissen abzuspeichern. Den Buchstaben ›M‹ hat er schon ziemlich weit durch, und er liest gerade etwas über Merlin, einen Zauberer oder Weisen aus der Artussage, der seine Zauberkraft nutzte, um König Artus zu helfen. Bunny Juniors Mutter hatte ihm die Enzyklopädie gekauft, weil sie ihn »zum Fressen gern« hatte, daran denkt der Junge gern. Bunny Junior findet, das Buch mit seinem gelben Umschlag – dasselbe Gelb wie diese Anti-Mücken-Kerzen mit Citronella – sieht elegant aus. Merlin war der Sohn eines Incubus und einer sterblichen Frau, und der Junge schlägt ›Incubus‹ nach und liest, dass ein Incubus ein boshafter Geist ist, der mit schlafenden Frauen Geschlechtsverkehr hat, dann schlägt er ›Geschlechtsverkehr‹ nach und denkt: ›Wow, das ist ja ein Ding‹, und allmählich bemerkt er, dass sein Vater in der Zimmertür steht.
Sein Vater ist frisch geduscht und rasiert, die Zierlocke mitten auf der Stirn ist
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