Der Tod des Bunny Munro
sich ihren Weg durchs Wohnzimmer, und Bunny spürt das letzte kinetische Stechen des Kokains hinter dem rechten Auge. Seine Eingeweide fühlen sich angespannt und überreizt an, und mit blankem Entsetzen sieht er durch das Fenster die ersten Anzeichen von Tageslicht.
»Oh, du armer Kleiner. Komm, mein Spätzchen, wir bringen dich wieder ins Bett«, flötet River und nimmt den Jungen an die Hand.
»Dad?«, fragt Bunny Junior, während er von River weggeführt wird. »Dad?«, sagt er.
Poodle, der immer noch mit dem Kopf über der Sofalehne hängt, öffnet ein Auge und sieht gerade noch, wie die beiden aus dem Zimmer gehen.
»Guter Junge«, sagt er, und der Wikingerhelm fällt ihm vom Kopf. »Und ein echt hübscher Arsch.«
»Hops, rein mit dir«, sagt River, und der Junge kriecht ins Bett. Steif wie ein Brett liegt er im Dunkeln unter dem Laken. River riecht nach Rauch, widerlich süß und verboten und kein bisschen wie seine Mutter. Er sieht die Umrisse ihrer riesigen Brüste über sich aufragen und merkt, wie dicht seine Hand neben ihrem Po liegt, aber er traut sich nicht, sie wegzuziehen. Er spürt heftige körperliche Regung, gefolgt von einer Scham, die ihm das Blut in den Kopf treibt, und kneift gequält die Augen zu.
»Richtig so, Spätzchen, mach die Augen zu«, sagt sie, und der Junge spürt ihre heiße, feuchte Hand auf der Stirn und muss sich heimlich auf die Unterlippe beißen, damit er nicht losheult.
»Es wird alles wieder gut«, sagt River mit nuscheliger Pichelstimme. »Versuch einfach, an was Schönes zu denken – nur an was Schönes. Mach dir keine Sorgen um deine Mami. Es geht ihr gut. Sie ist im Himmel bei den Engeln. Alle sind dort glücklich und lächeln immerzu, weil sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Sie schweben die ganze Zeit nur umher, spielen, freuen sich und sind glücklich.«
Rivers Körper strahlt eine stickige Hitze ab, und Bunny Junior glaubt, die Knochen in ihrem Fleisch klappern zu hören. Ihm wird ganz übel.
»Zuerst trifft sie Petrus, und Petrus ist ein schöner, kluger alter Mann mit einem weißen Rauschebart. Er bewacht die Himmelspforte, und wenn er deine Mami kommen sieht, nimmt er seinen großen goldenen Schlüssel und schließt ihr auf …«
Bunny Junior merkt, wie das Bett in die Tiefe rauscht und plötzlich von Dunkelheit eingehüllt wird, und er glaubt zu hören, wie seine Mutter an der Tür erscheint und fragt: »Wer sitzt denn da neben dir auf dem Bett?«
Bunny Junior zuckt mit den Schultern und antwortet: »Weiß ich nicht, Mum.«
Und seine Mutter sagt: »Sollen wir ihr vielleicht sagen, dass sie gehen soll?«
Worauf er erwidert: »Ja, genau das sagen wir ihr, Mum.«
Bunny Junior lächelt und schmeckt sein salziges Blut, und kurz darauf schläft er ein.
11
River kommt in die Küche, und Bunny steht schwankend mitten im Raum und hält eine Packung Coco Pops in der Hand. Sein Hemd hängt offen aus der Hose, und er blickt entsetzt zum Fenster hinaus in das körnige Morgenlicht. In irgendeiner Nachbarwohnung kläfft ein Hund, und von oben hört Bunny das beunruhigende Geräusch von Möbeln, die verrückt werden.
»Er schläft. Der Kleine ist so süß. Er liebt seinen Dad, so viel steht fest.«
Bunny dreht sich zu ihr um und schaut dann verdutzt auf die Schachtel in seiner Hand, als sähe er sie zum ersten Mal. Er stellt sie auf den Küchenschrank.
»Wo sind die anderen?«, fragt Bunny, und seine Stimme klingt weit entfernt, als käme sie aus dem Zimmer, in dem der Hund kläfft.
Mit einem Blick auf das bunte Magnetalphabet an der Kühlschranktür sagt River: »Die sind alle weg. Ich soll dir von ihnen Tschüss sagen.«
»Wie geht’s Poodle?«
»Sie mussten ihn raustragen.«
»Typisch Poo«, erwidert Bunny matt.
»Hast du das geschrieben?«, fragt River und zeigt auf die offenherzige Kühlschrankbotschaft.
»Ich glaub, das war meine Frau«, antwortet Bunny.
River dreht Bunny den Rücken zu, und in ihrer Kniekehle entdeckt er eine blaue Krampfader, die aussieht wie eine Reptilzunge. Sie nimmt ein Plastik-M, ändert den Satz in: ›FICK MNE FOTZE‹ und dreht sich dann wieder zu Bunny um. Das Haar hängt ihr über ein Auge, und ihre großen, runden Brüste heben und senken sich. Bunny beugt sich vor, um die Buchstaben am Kühlschrank zu inspizieren, geht vor und zurück und versucht erfolglos, die Schrift zu fokussieren. Der Satz verbiegt sich und verschwimmt vor seinen Augen, und für Bunny sieht er aus wie Arabisch oder ein
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