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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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verkaufen!«, und lacht, und dann fällt ihm wieder ein, was ihm Poodle über Kylie Minogue erzählt hat – dass er in irgendeinem Blog gelesen hat, Kylie sei abgegangen wie eine Rakete und würde praktisch vor nichts zurückschrecken. Sie ist unersättlich!
    Bunny blickt kurz auf den zerknüllten Zettel, der zwischen Bunny Juniors Füßen herumrollt, und entblößt die Zähne, dann reißt er seinen Blick los, schaltet energisch einen Gang hoch, tritt aufs Gas und sagt: »Du musst noch eine Menge lernen.«
    »Ich weiß, Dad«, antwortet der Junge.

13
    »Also, Bunny Boy, du musst dir das so vorstellen: Wenn du dich vor eine Eiche oder Ulme oder irgend so was stellst – vor so einen richtigen Oschi halt –, mit einem dicken, fetten Stamm und kräftigen Wurzeln, die tief in der Erde stecken, und mächtigen Ästen voller Laub, okay, wenn du dich also vor so einen Baum stellst und ihn schüttelst, was passiert dann?«
    Bunny fährt im Schneckentempo durch die Wellborne-Siedlung in Portslade und sieht auf die Kundenliste, die ihm Geoffrey gegeben hat. Die Wohnblocks werfen lange dunkle Schatten auf den Vorplatz, und Bunny duckt sich, späht durch die Windschutzscheibe und sucht die Wohnung Nummer 95.
    »Ich hab wirklich keine Ahnung, Dad«, antwortet Bunny Junior, der aufmerksam zuhört, sich alles einprägt und weiß, dass er es mit der Zeit wahrscheinlich verstehen wird.
    »Na, nichts natürlich!«, sagt Bunny und hält an. »Du kannst schütteln, bis du schwarz wirst. Außer dass dir irgendwann die Arme wehtun, passiert überhaupt nichts. Kapiert?«
    Die Aufmerksamkeit des Jungen wird für einen Moment von drei Jugendlichen abgelenkt, die auf der Lehne einer Bank hocken und rauchen. Ihre zeltartigen Jeans und ihre übergroßen Turnschuhe nehmen ihnen jede Persönlichkeit, und in den dunklen Tiefen ihrer Kapuzen leuchtet die Glut ihrer Zigaretten auf. Bunny Junior setzt die Sonnenbrille wieder auf und rutscht tief in seinen Sitz.
    »Stimmt, Dad«, sagt er.
    Bunny kurbelt das Fenster runter, steckt den Kopf raus und sieht hoch zu den Wohnungen.
    »Mann! Diese Idioten könnten wenigstens mal Nummern an die Türen schreiben«, schimpft er.
    Dann dreht er den Rückspiegel zu sich, sieht hinein und bearbeitet den gewachsten Haarschnörkel, der wie das Horn eines Mythentiers auf seiner Stirn sitzt.
    »Wenn du aber zu einem mickrigen, dürren, völlig fertigen Bäumchen gehst, mit einem ausgetrockneten Stamm und ein paar Blättern, die gerade noch so dranhängen, und das mal so richtig abschüttelst – wie wir Verkäufer sagen –, dann fliegen dir die Blätter nur so um die Ohren! Klar?«
    »Okay, Dad«, sagt der Junge und sieht, wie einer der Jugendlichen die Kapuze ein Stück zurückzieht und eine weiße Hockeymaske mit dem Aufdruck eines Totenkopfs zum Vorschein bringt.
    »Also, der große Baum ist der reiche Sack, okay, und das dürre Bäumchen ist der arme Arsch, bei dem es hinten und vorn nicht reicht. Kannst du mir folgen?«
    Bunny Junior nickt.
    »Nun klingt das alles einfacher, als es in Wirklichkeit ist, Bunny Boy. Soll ich dir sagen, warum?«
    »Okay, Dad.«
    »Weil nämlich jeder noch so dämliche Idiot und sein Köter an den kleinen Bäumchen dranhängen und sie schütteln bis zum Gehtnichtmehr – die Regierung, der Vermieter, die Lottogesellschaft, bei der man nie im Leben was gewinnt, die Stadtverwaltung, die Verflossenen, die vielen rotznasigen Blagen, die um sie herumrennen, weil sie einfach zu doof sind, sich ein bisschen zusammenzureißen, der ganze nutzlose Scheiß, den sie in der Glotze sehen, Tesco, die Knöllchenverteiler, Versicherungen für dieses und für jenes, die Kneipe, Spielautomaten, Wettbüros – jeder Arsch mit seiner dreibeinigen, einäugigen, räudigen Töle schüttelt die kleinen Bäumchen«, sagt Bunny, klammert die Hände zusammen und tut, als würde er jemanden erwürgen.
    »Und was machst du dann, Dad?«, fragt Bunny Junior.
    »Man muss ihnen halt was bieten, von dem sie glauben, sie bräuchten es, weißt du, mehr als alles andere.«
    »Und was ist das, Dad?«
    »Hoffnung … einen Traum. Du musst ihnen einen Traum verkaufen.«
    »Und was ist der Traum, Dad?«
    »Was der Traum ist?«
    Bunny Junior sieht, wie sein Vater seine Krawatte zurechtrückt und den Musterkoffer vom Rücksitz des Punto nimmt. Er öffnet ihn, wirft einen kurzen Blick auf den Inhalt und klappt den Deckel wieder zu. Dann sieht er Bunny Junior an, zieht die Schultern zurück, öffnet die Autotür, richtet den

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