Der Tod des Bunny Munro
… Sie haben ganz außergewöhnliche Augen, Georgia«, stammelt Bunny und tupft sich die Wangen ab. »Sie … äh … sie sind so … äh … so tief.«
»Oh, Sie Ärmster«, flüstert Georgia zu sich selbst.
»Bis in die Tiefen … äh …«
Zoë nimmt die Hand vor den Mund und haucht einen winzigen Geist aus Wasserdampf auf das pinkfarbene Schmetterlingstattoo an ihrem Handgelenk. Sie sieht Amanda an, schnappt nach Luft und sagt: »Oh mein Gott.«
Bunny klappt seinen Musterkoffer zu, schiebt quietschend den Stuhl zurück und steht auf. »Auf Wiedersehen, meine Damen.«
Er blickt sich noch einmal im Zimmer um, macht die Tür auf und geht, und er hinterlässt eine ungläubige, traurige Atmosphäre.
»Wow«, sagt Zoë.
Bunny steht im Treppenhaus, beugt sich über das Geländer und erkennt zögernd, dass von der anderen Seite – der Seite der Toten – irgendeine Art von Forderung an ihn gestellt wird, aber er hat keine Ahnung, was für eine. Er geht die Treppe runter und marschiert durch die eckigen schwarzen Schatten über den windigen Vorplatz auf den Punto zu.
Als der Dicke mit dem Kleid und der lavendelfarbenen Perücke ihn sieht, springt er von der Bank und taumelt auf ihn zu, wobei er die Topfpflanze vor den Körper hält wie ein Baby mit voller Windel oder ein Päckchen Nitroglyzerin oder so was, und in seiner Kehle steigt ein tiefes Grollen auf.
Bunny bleibt stehen, baut sich breitbeinig vor ihm auf und sagt: »Komm mir nicht zu nah, du Knallbirne!«
Der Typ schaut Bunny an, und was er sieht, ist offenbar eindrucksvoll genug, um ihn zu einem spontanen Neuabwägen der Kräfteverhältnisse zu veranlassen. Er tritt einen eigenartigen, wie gespult wirkenden Rückzug an und nimmt wieder seine gequälte Kauerhaltung auf der Bank ein.
»Scheiß Spinner«, zischt Bunny, geht über den Hof zum Punto und steigt ein.
»Alles klar, Dad?«, fragt Bunny Junior.
»Was?«, fragt Bunny. »Was, verdammte Scheiße?«
Der Junge klappt seine Enzyklopädie zu. »Mir gefällt’s hier irgendwie gar nicht, Dad.«
Bunny startet den Punto und sagt, mehr zu sich selbst als zu seinem Sohn: »Na, dann machen wir doch v-e-r-d-a-m-m-t nochmal die Fliege.«
»Wohin fahren wir denn, Dad?«
Bunny zieht die Kundenliste aus der Jacketttasche und drückt sie Bunny Junior in die Hand.
»Das ist die Kundenliste«, sagt er.
»Okay«, erwidert Bunny Junior.
Dann greift Bunny über den Jungen hinweg und schlägt mit der Faust gegen das Handschuhfach, das aufklappt. Er fischt einen Stadtplan heraus.
»Hinten sind die Straßen drin, von A–Z«, sagt er.
»Okay«, antwortet der Junge.
»Gut. Also, du bist jetzt der Navigator«, sagt Bunny, und der Punto schlingert auf die Straße.
»Der Navigator?«
»Der Navigator!«
Bunny Junior sieht auf die Liste und macht eine schwungvolle Handbewegung, die seinen Vater beeindrucken und dazu bringen soll, ihn zu mögen oder wenigstens nicht böse auf ihn zu sein. Er zeigt auf die Namen.
»Nächste Station: Shoreham!«, ruft er optimistisch.
15
Bunny Junior sitzt im Punto und sieht zu, wie ein kleiner Kanalkäfer auf der Windschutzscheibe landet, und während er über die Scheibe krabbelt, bewundert der Junge von seinem einmaligen Aussichtspunkt aus den schwarzen, edelsteinartigen Bauch des Käfers. Er staunt über den rätselhaften, kupfrigen Glanz und fragt sich, wie etwas so Gewöhnliches so schön sein kann. Er holt einen schwarzen Filzstift aus der Tasche, setzt die Spitze auf die Scheibe und zeichnet den mäandrierenden Weg des Kanalkäfers nach. Er wüsste gern, ob irgendeine Ordnung oder ein System dahintersteckt. Bunny Junior findet Käfer toll – das war schon immer so und wird auch immer so sein. Als er noch kleiner war, hatte er mal eine Zigarettenschachtel voll toter Käfer, und er überlegt, was aus ihnen geworden ist. Er hatte alle möglichen Käfer – Schwarze Moderkäfer, Große Grabläufer und Rotbraune Laufkäfer, Taumelkäfer, Kanalkäfer (wie diesen hier), Zipfelkäfer, Rote Weichkäfer und Schwarzhörnige Totengräber, Feuerkäfer und Hirschkäfer und seinen Lieblingskäfer, den Nashornkäfer. Der Nashornkäfer ist das stärkste Lebewesen der Welt, er hat drei Hörner auf dem Kopf und kann das 850-Fache seines eigenen Gewichts heben. Wäre ein Mensch dazu in der Lage, könnte er 65 Tonnen stemmen. Bunny Junior geht still für sich alle Käfer durch, die er kennt, und zeichnet dabei die mittlerweile eindeutig ziellosen Wege dieses stinknormalen Käfers nach,
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