Der Tod des Bunny Munro
sodass das Stück Windschutzscheibe allmählich aussieht wie die Oberfläche eines langsam wachsenden menschlichen Gehirns. Er macht seine Sache als Navigator wirklich gut, glaubt er – er weiß, wie man Karten liest und klare Anweisungen gibt, und sein Dad, der einen ziemlich zur Schnecke machen kann, wenn man nicht auf der Höhe ist, meint, er macht das wirklich prima. Irgendwie fragt er sich aber schon, was er da eigentlich macht, während er den ganzen Tag im Auto rumsitzt und die Schule verpasst. »Das Handwerkszeug lernen«, vermutet er. Die Luft verfärbt sich korallenpink, bonbon-farbene Wolken hängen wie zerfetzte Fahnen am Himmel, und hinter den Häusern geht die Sonne unter, und Bunny Junior hört den spätnachmittäglichen Lärm der Stare. Sein Vater hat ihm versprochen, dass es die letzte Kundin für heute ist, und während der Kanalkäfer seine anarchische, ziellose Runde fortsetzt, dehnt sich das große schwarze Gehirn vor Bunny Juniors wunden, verkrusteten Augen immer weiter aus.
»Diese revitalisierende Creme mit Rosenblüten hat eine geradezu magische belebende Wirkung«, sagt Bunny.
Er sitzt auf einem kattunbezogenen Sofa im Wohnzimmer einer einfachen, aber gepflegten Wohnung in Ovingdean. Er fühlt sich erschöpft und ausgequetscht, und vor allem ist ihm unheimlich zumute. Mittlerweile ist er überzeugt davon, dass in ihm und um ihn herum Kräfte am Werk sind, über die er wenig bis gar keine Kontrolle hat. Er hat das dumpfe Gefühl, eine Nebenrolle im Film eines anderen zu spielen, mit schlecht synchronisierten Dialogen in Marsmännchen-Sprache und mongolischen Untertiteln. Und es fällt ihm verdammt schwer herauszufinden, wer eigentlich die Hauptrolle spielt. Bunnys Optimismus vom Morgen ist dem Gefühl gewichen, dass er, kurz gesagt, völlig durch den Wind ist. Noch dazu kann er sich nur schwer mit der sehr realen Möglichkeit abfinden, dass ihn seine Frau vom Totenreich aus beobachtet und er sich deshalb in gewisser Hinsicht benehmen sollte. Das ist nahezu unmöglich, zumal die Frau da vor ihm, eine Miss Charlotte Parnovar, ein waschechtes Mondkalb ist und so starke und unmissverständliche Signale aussendet, dass Bunny praktisch die Funken zwischen sich und ihr hin und her springen sieht. Man muss dazusagen, dass Bunny sich schon immer als erstklassigen elektrischen Leiter betrachtet hat, und während er die Hände der statisch knisternden Charlotte mit Lotion massiert, beginnt er in seiner zebragestreiften Unterhose mit der Errichtung einer Kreuzblume, eines Flugtowers oder eines Blitzableiters.
»Diese Creme ist reich an Kollagen und Elastin und kann die Feuchtigkeitsversorgung Ihrer Haut um bis zu 200 Prozent verbessern«, sagt Bunny.
»Ach, wirklich?«, erwidert Charlotte.
Charlotte hat eine interessante hohe Stirn, die auf eine erotische Art völlig ausdruckslos ist, außer dass in der Mitte eine eigenartige, trockene Blase prangt, wie eine weiße Wellhornschnecke. Charlotte hat eine weiche, fast unsichtbare Flaumschicht auf der Oberlippe, und ihr struppiges, wasserstoffstrapaziertes Haar ist zurückgekämmt und mit einer Metallspange so straff am Hinterkopf befestigt, dass ihre leicht spöttischen Augen etwas auseinandergezogen werden. Charlotte sitzt Bunny gegenüber auf einem anderen Sofa mit passendem Kattunbezug, in weiten Frotteeshorts und einem pinkfarbenen Baumwolltop, das über ihren großen, kissenartigen Brüsten spannt. An einer silbernen Halskette trägt sie einen winzigen Diamant-Anhänger, der aussieht wie ein glitzerndes Juwel, das auf einem Korallenriff angespült wurde.
Am anderen Ende des Zimmers hängt ein gerahmtes Bild aus einem West-End-Musical, und an der gegenüberliegenden Wand ein Poster mit einem Selbstporträt von Frida Kahlo, die wie eine Zigeunerin angezogen ist und einen kleinen, braunen Affen auf dem Arm hält. Auf dem Couchtisch vor Bunny – eine selbst gebaute Konstruktion aus Ziegelsteinen und rauchgrauem Plexiglas – steht sein Musterkoffer neben einer unpassenden Schale mit abgestandenem Potpourri.
Bunny drückt noch einen Klecks Lotion in Charlottes Hände, knetet sie und zieht an den Fingern.
»Die einzigartigen Heilkräfte gehen tief unter die Haut und bewirken, dass sich Ihre Hände geschmeidig und … äh … wie im siebten Himmel anfühlen«, sagt er, und wenn er seinen Blickwinkel ein klein wenig verändert, sieht er im offen stehenden Hosenbein von Charlottes Shorts, wie der Muskel auf der Innenseite ihres Schenkels zuckt und
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