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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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außerhalb unseres Sonnensystems, das auf Fotos sternartig aussieht, aber eine für sehr weit entfernte Objekte charakteristische Rotverschiebung hat. Quasare haben eine sehr kompakte Struktur und eine hohe Fluchtgeschwindigkeit nahe der Lichtgeschwindigkeit. Sie sind die hellsten Objekte im Universum, denkt Bunny Junior und zieht die Knie an die Brust. Der Junge glaubt, wenn er einfach bleibt, wo er ist, im Punto auf der Meeching Road in Newhaven, wird ihn seine Mutter schon irgendwann finden, und er hat den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da merkt er schon, wie die Luft in Bewegung gerät, und er riecht den Duft ihrer Handcreme. Er spürt die federleichte Berührung ihrer Hand auf seinem Haar. Sie fährt mit dem Zeigefinger über sein Profil, über die Stirn, zwischen seinen geschlossenen Augen entlang über die Nase, und als sie zu seinen Lippen gelangt, drückt sie den Finger darauf wie einen Kuss. »Du … bist … das … hellste … Objekt … im … Universum«, hört er eine Stimme sagen – ob ihre oder seine, das weiß er nicht genau –, und die Luft um ihn herum umhüllt ihn sanft.
    »Wie heißt die Hauptstadt von China!?«
    Bunny Junior erwacht mit dem Geruch von Handcreme in der Nase und sieht, wie sich die flatternden Finger seiner Mutter langsam entfernen. Neben ihm sitzt, keuchend und völlig aufgedreht, sein Vater, ohne Jackett und mit offenem Hemd, und seine pomadige Haarpracht steht wirr vom Kopf ab. In den Mundwinkeln hat sich weißer Schaum gesammelt, seine Nase gleicht einer aufgeplatzten kleinen Tomate, und sein Blick ist vor wilder Freude wie elektrisiert.
    Bunny Junior setzt sich auf und greift in die Luft vor seinem Gesicht.
    »Mummy?«
    »Hä?«, sagt Bunny.
    »Peking«, antwortet der Junge und reibt sich den Schlaf aus den Augen.
    Bunny vollführt mit den Zeigefingern ein kleines Kunststück.
    »Wie heißt die Hauptstadt der Mongolei?«
    Der Junge zieht in seinem Kopf Kasten um Kasten auf, aber er ist noch total verschlafen, und es dauert.
    »Na los, komm schon! Die Uhr tickt«, sagt Bunny, der jetzt in den Rückspiegel sieht und sich wie ein Irrer die Haare kämmt.
    »Ulan-Bator«, sagt der Junge schließlich. »Früher Urga.«
    Bunny hört mit dem Kämmen auf und gebärdet sich aus irgendeinem Grund wie Frankensteins Monster, dann tut er, als kämen elektrische Blitze aus seinen Ohren, und ruft: »Ulan … was?!«
    »Ulan-Bator, Dad«, wiederholt Bunny Junior.
    Bunny bricht in lautes, ansteckendes Lachen aus und klatscht sich auf die Schenkel, dann beugt er sich zu seinem Sohn rüber, nimmt ihn in den Schwitzkasten und reibt ihm mit den Fingerknöcheln über den Kopf.
    »Mein Sohn, das verdammte Genie! Du solltest echt ins Fernsehen!«, brüllt Bunny, dreht den Zündschlüssel um und fährt auf die Straße. Von allen Seiten heulen Hupen auf, und Bunny zieht am Schritt seiner Hose und sagt: »Mann, tut das gut, wieder auf Achse zu sein!«
    »Das hat echt gedauert, Dad«, sagt der Junge.
    »Was?«
    »Du warst echt lange da drin.«
    Bunny biegt in die Brighton Road ein. »Ja, ich weiß, aber das Erste, was du lernen musst, wenn du mit mir auf Geschäftsreise gehen willst, ist Geduld . Das ist die erste und grundlegendste Verkäuferregel, Bunny Boy. Geduld.«
    Bunny gibt Vollgas und überholt einen braunen Zementmischer.
    »Das ist wie bei diesen Zulukriegern in Afrika oder weiß der Geier wo.«
    »Natal«, sagt der Junge.
    »Was?«
    »Südafrika.«
    »Ja, okay, meinetwegen. Es ist doch so – wenn ein Zulukrieger eine Antilope oder ein Zebra oder irgendwas aufspießen will, trampelt er ja nicht in Stiefeln durch den Busch und hofft, dass die Antilope stehen bleibt. Stimmt’s? Er muss, wie wir Verkäufer sagen, diskret vorgehen. Diskret und …«
    »Geduldig«, ergänzt Bunny Junior mit einem gepressten Lächeln.
    Bunny trommelt feierlich mit der Faust auf seine Brust und setzt ein konzentriertes Gesicht auf.
    »Du musst eins mit deiner Beute sein … dich leise und unauffällig auf sie zubewegen und dann … zack! … rammst du ihr den Speer mitten ins Herz!«
    Um die Dramatik zu verstärken, schlägt Bunny auf das Armaturenbrett, dann sieht er den Kleinen an und fragt: »Warum machst du so ein Gezappel mit den Füßen?«
    »Du hast deine Krawatte liegen lassen, Dad.«
    Bunny fasst sich an den Hals.
    »Scheiße«, sagt er leise.
    »Du hast sie in der letzten Wohnung vergessen«, sagt der Junge.
    Bunny boxt seinen Sohn spielerisch gegen den Arm.
    »Ach weißt du, Bunny Boy, scheiß

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