Der Tod des Bunny Munro
Bunny?«, sagt Georgia.
»Mamma mia! Mamma mia! Mamma mia, let me go!«
»Alles in Ordnung mit dir, Bunny?«
Gefährlich nach hinten geneigt, nimmt Bunny die Treppe in Angriff, Stufe für Stufe, und hängt wie ein Faultier am Geländer. Unten angekommen, streckt er einen Arm aus und schmettert mit einer wahnsinnigen Opernstimme: »Beelzebub had a devil put aside for me! For me! For me!«
Auf dem Weg durch die menschenleere Lobby des Empress Hotels denkt er die ganze Zeit: ›Komisch. Wo sind die denn alle?‹ Er geht an der unbesetzten Rezeption vorbei, und seine Stimme wird ernst.
»Ich will dir was sagen, Georgia, weil ich nämlich finde, für den ganzen üblichen Mist sollte zwischen uns kein Platz sein. Du weißt schon, Lügen und all so was …«
Georgias Antwort wirkt entrückt, weit weg, geträumt.
»Ähm … okay«, sagt sie.
»Dieser Scheiß steht mir nämlich bis oben, verstehst du?«, sagt Bunny.
»Okay«, sagt Georgia. »Was ist los?«
»Ich bin betrunken.«
Bunny steckt sich noch eine Lambert and Butler in den Mund, zündet sie an und tritt auf der Küstenseite hinaus ins Freie, wo der Sturm mit solcher Brutalität auf ihn einprügelt, dass er auf die Knie geht. Das Jackett flattert über seinem Kopf, und er brüllt ins Handy: »Oh Mann, Scheiße, Georgia! Bleib mal kurz dran!«
Bunny sieht in Zeitlupe, wie sich eine gewaltige Meereswelle an der Promenadenmauer bricht und dann vom Wind wie ein riesiges Betttuch surrealistisch über die Straße getragen und über ihm fallen gelassen wird. Bunny fixiert den Punto und kriecht darauf zu, und der salzige Regen peitscht ihm ins Gesicht. Ihm fällt auf, dass die Küstenstraße völlig menschenleer ist und die meisten Straßenlaternen aus sind. Durch den tosenden Sturm hört er das Knirschen und Quietschen von Metall, und ein Blitz lässt das Skelett des West Piers aufleuchten. Der Wind trommelt auf den Punto, und Bunny stemmt unter größter Anstrengung die Tür auf und schafft es gerade so hineinzuklettern. Klatschnass sitzt er da, sieht wie eine zu langsam abgespielte Aufnahme einer subjektiven Kamera eine grüne Seewasserpfütze zu seinen Füßen und sagt wie betäubt und nicht von dieser Welt: »Georgia?«
»Was ist los, Bunny? Alles in Ordnung mit dir?«
Georgias Stimme klingt anders als alles, was er je gehört hat, und er fragt sich, ob er überhaupt irgendwas hört.
»Warte mal kurz«, sagt Bunny.
Er dreht den Rückspiegel zu sich hin und sieht einen Mann, der gut er selbst sein könnte, es aber irgendwie nicht ist. Er sieht nicht mehr so aus, wie er sich in Erinnerung hat. Seine Gesichtszüge wirken wie isoliert voneinander, und alles ist abgesackt. Seine Augen sind in die Höhlen gesunken, seine Wangen hängen schlaff herunter, und wenn er zu lächeln versucht, erinnert ihn sein Spiegelbild an Mrs. Brooks’ anzüglich grinsenden Bösendorfer mit den gelben Zähnen. Sein Gesicht ist wund gescheuert vom salzigen Regen, und die Spiralstirnlocke hängt ihm ins Gesicht wie ein benutztes Kondom – aber das ist es nicht –, er sieht einfach aus wie jemand anders und fragt sich, wo er selbst geblieben ist.
»Georgia, hör mir zu. Ich frag dich jetzt was, Baby, offen und ehrlich. Okay?«
»Okay.«
»Was würdest du sagen, wenn dich ein einsamer, liebeskranker, leicht angetrunkener Mann mittleren Alters mitten in der Nacht besuchen käme?«
»Was, jetzt?«, sagt sie, aber ihre Stimme klingt elektronisch, wie eine Computeransage.
»Ich werte das mal als Zustimmung«, sagt Bunny.
»Bunny, wo bist du?«
Er dreht den Schlüssel im Zündschloss, und mit einer völlig untypischen Zuverlässigkeit – ›Was ist denn mit dem Punto los?‹, denkt Bunny – springt der Wagen röhrend an.
»Wo ich bin?«, sagt Bunny. »Oh Georgia, ich bin einfach überall!«
Bunny klappt das Telefon zu wie eine Zange und wirft es auf den Beifahrersitz. Er sieht, dass die beiden Pfützen zu seinen Füßen zu einer großen Pfütze zusammengelaufen sind, und das löst irgendein deutliches, aber nicht genau identifizierbares Gefühl in ihm aus. Er schließt die Augen und hört, wie eine große, schwarze Welle gegen den Uferdamm kracht und ihren Schaumstrahl über den Punto speit, der Wagen wackelt von dem Aufprall und Bunny hofft, dass er nicht eingeschlafen war. Er nimmt die Kundenliste aus dem Handschuhfach, sucht Georgias Adresse und fährt auf die entvölkerte Straße. Eine heruntergewehte Stromleitung windet sich wie eine schwarze Schlange über die
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