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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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mein Vater ist!« Dem Jungen steigen Tränen in die Augen.
    »Blöde Fotze«, sagt Bunny und schiebt sich noch ein Stück Pizza in den Mund.
    »Warum bin ich denn nicht in der Schule, Dad?!«, ruft Bunny Junior und wischt sich mit dem Handrücken einen dicken Schnodder von der Oberlippe. Bunny sieht seinen insektenäugigen Sohn an und lässt das Kettchen an seinem Handgelenk kreisen. Er trinkt einen Schluck Cola und schweigt eine Weile.
    »Nimm mal die Brille ab«, sagt Bunny.
    Der Junge tut, wie ihm geheißen, und das nüchterne Licht blendet seine juckenden, geschwollenen Augen. Bunny schiebt das Pizzatablett beiseite und spricht so leise, dass sich der Junge zu ihm vorbeugen muss, um ihn zu verstellen.
    »Mal ganz im Ernst, Bunny Boy. Worauf hast du mehr Lust? Bei deinem Dad zu sein oder mit einer Bande rotznasiger Blagen in der Schule zu hocken? Willst du, dass was aus dir wird? Willst du von der Pike auf das Verkaufen lernen, oder willst du dein ganzes Leben ohne Arsch in der Hose rumlaufen?«
    »Darf ich die Brille wieder aufsetzen? Hier drin blendet es so. Ich glaub, ich werd’ blind«, sagt der Junge und blinzelt zu seinem Vater hoch. »Ich brauch Augentropfen oder so was.«
    »Antworte auf meine Frage«, sagt Bunny, »wenn du nämlich lieber wieder zur Schule gehen willst, brauchst du nur einen Ton zu sagen.«
    »Ich will bei dir sein, Dad.«
    »Klar willst du das! Ich bin schließlich dein Dad. Und bei mir lernst du das Handwerkszeug! Ich bring dir bei, wie man verkauft. Davon hat so eine vertrocknete Alte mit einem Stück Kreide in der Hand nicht den blassesten Schimmer.«
    Dem Jungen tränen in dem grellen Menschenhasserlicht die Augen, er tupft sie mit der Serviette ab, setzt die Sonnenbrille wieder auf und sagt: »Ich glaub, ich brauch bald einen Hund und einen weißen Stock, Dad.«
    Bunny hört es nicht, denn seine Aufmerksamkeit gilt jetzt dem Nachbartisch, wo eine Frau mit einem Mädchen sitzt, das offenbar ihre Tochter ist. Das Mädchen trägt goldene Hipster-Hotpants und ein bauchfreies, zitronengelbes T-Shirt, auf dem ›YUMMY‹ steht. Auf ihren Finger- und Zehennägeln leuchtet fluoreszierender rosa Lack. Bunny kommt der Gedanke, dass die Kleine in ein paar Jahren ein echt heißer Feger sein wird, und er überlegt, ob er nochmal die Toilette aufsuchen soll, aber dann sagt die Mutter des Mädchens zu ihm: »Es gefällt mir nicht, wie Sie meine Tochter ansehen«, und Bunny erwidert entgeistert: »Wofür halten Sie mich denn?!«, und dann sagt er: »Meine Güte! Wie alt ist sie eigentlich?«, und die Frau antwortet: »Drei.« Bunny sagt: »Naja, das heißt ja nicht, dass sie nicht vielleicht in ein paar Jahren … na, Sie wissen schon …«, und die Frau greift nach ihrem Besteck und faucht: »Noch ein Wort, und ich ramme Ihnen diese Gabel ins Gesicht«, worauf Bunny erwidert: »Wow! Sie werden ja plötzlich richtig sexy«, und die Frau schnappt sich ihre kleine Tochter, zischt »Arschloch« und verschwindet, und Bunny wackelt ihr mit seinen Hasenohren hinterher und sagt zu Bunny Junior: »Ich habe das Verkaufen bei meinem alten Herrn gelernt, auf der Straße, weißt du, an vorderster Front. Wir sind mit seinem Transporter durch die Gegend gefahren und haben nach irgendeiner runtergekommenen Hütte Ausschau gehalten, nach so einer richtigen Bruchbude – abgeblätterte Farbe, zugewucherter Vorgarten –, in der eine reiche Omi mit drei Dutzend Katzen wohnt, und darin verschwand er dann, und noch bevor ich mein Sandwich aufgegessen hatte, kam er mit einer hübschen kleinen Chippendale-Frisierkommode wieder raus. Er hatte eine Gabe, mein alter Herr, das Talent, und er hat mich diese Kunst gelehrt – die Kunst, mit jedem sofort auf einer Wellenlänge zu liegen. Und genau das tun wir hier auch, Bunny Boy. Du verstehst das im Moment vielleicht noch nicht, aber ich gebe dieses Talent an dich weiter. Verstehst du das?«
    »Ja, Dad«, antwortet Bunny Junior.
    Sein Vater steht auf. »Also dann.«
    »Ich muss vielleicht bald Braille lernen«, sagt der Kleine.
    »Schlampe«, zischt Bunny leise.
    Dann donnert es, ein Blitz zuckt auf, und es beginnt zu regnen.

23
    Auf einem kleinen, schwarzen Fernseher in der Zimmerecke treibt es ein Elefantenbulle in epischer Länge mit seinem Weibchen. Bunny, der komplett angezogen und voll wie ein Eimer auf dem Bett liegt, kann kaum glauben, was er da sieht. Ein Gewitter peitscht heulend gegen die Fensterscheiben – Blitz, Donner, strömender Regen –, und im Bett neben

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