Der Tod des Bunny Munro
regennasse Straße, sprüht zischend Funken und kommt auf ihn zu. Bunny hat das Gefühl, die Schlange hat es auf ihn abgesehen, und wenn sie ihn erwischt, muss er sterben. Außerdem glaubt er, dass er vielleicht schon Gespenster sieht und das alles nur ein Trugbild oder eine Sinnestäuschung oder eine monströse Halluzination oder so was ist, und er zischt durch die Zähne: »Thunderbolts and lightning, very, very frightening.« Dann gibt er Vollgas und fährt – in Zeitlupe – die Straße entlang.
Während Bunny durch die Straßen fährt und Georgias Stimme allmählich verhallt, denkt er mit einer kybernetischen Sicherheit: ›Ich bin der große Verführer. Die Nacht ist mein Element.‹ Wände aus Dunkelheit, die seine Scheinwerfer kaum durchdringen können, umschließen ihn von allen Seiten, aber Bunny hat das Gefühl, er könnte sich zurücklehnen und die Augen schließen, und der treue Punto wüsste genau, wo es langgeht. Als er von der Küstenstraße abfährt, legt sich der Wind, die Nacht schüttet keinen Regen mehr auf ihn runter, und Georgias großer, weißer Hintern schmiegt sich passgenau in die Pornodenkblase über seinem Kopf. Eine gespenstische Stille hüllt den Wagen ein, und Bunny hört nur noch seine eigenen gleichmäßigen und unvermeidlichen Atemzüge.
Der Koloss der Wellborne-Siedlung ragt in die Nacht wie ein Leviathan, rabenschwarz und biblisch, und Bunny parkt den Punto neben der jetzt leeren Bank – der Dicke im Blumenkleid ist weg und die Jugendlichen mit den Kapuzen auch. Bunny steigt aus, sein Anzug ist durchweicht und das Haar klebt ihm am Kopf, aber es ist ihm egal – er ist der große Verführer. Die Nacht ist sein Element.
Er betritt den dunklen Rachen des Treppenhauses, und der beißende Geruch von Urin und Bleiche brennt in seinen Augen, aber es ist ihm egal. Er quetscht durch die klatschnasse Hose seine Genitalien und spürt, wie sie in seiner Faust einen Freudensprung machen, und er nimmt drei Treppenstufen auf einmal, auch wenn er sich gar nicht mehr so richtig daran erinnern kann, mit Georgia gesprochen zu haben. Er zittert in seinem dünnen, vollgesogenen Anzug, aber er ist in seinem Element. Es ist ihm egal.
Bunny geht den Gang entlang, muss aber einmal kehrtmachen, weil er an Wohnung Nr. 95 vorbeigelaufen ist, denn es ist kein Licht an. Er drückt die Stirn an das Fenster und glaubt, in einem der hinteren Zimmer das Flackern einer Kerze oder eines Nachtlichts zu sehen, und lächelt, denn er weiß – es vibriert in jedem seiner Wirbel –, sicherer als irgendwas in seinem Leben, dass Georgia in diesem schummrigen Hinterzimmer nackt und auf allen vieren auf ihn wartet, die Beine gespreizt, die Brüste baumelnd und den Hintern bis zum Himmel hochgereckt, und ihre Möse schwebt in der Luft wie das Herrlichste, was man sich in dieser niederträchtigen, widerlichen und hinfälligen Scheißwelt nur vorstellen kann, und er braucht bloß seine Latte in der Hose zurechtzurücken (was er tut) und gegen die Tür zu drücken (die nur angelehnt ist), und sie wird aufgehen (was er tut und was sie nicht tut), also klopft er an die Tür und flüstert durch das Schlüsselloch: »Georgia.« Daraufhin passiert gar nichts, also hämmert er mit der Faust gegen die Tür, geht dann auf die Knie und flüstert, so laut er kann, ihren Namen durch die Katzenklappe. Dann ruft er ihn noch einmal.
Urplötzlich gehen alle Lichter an. Die Tür fliegt auf, und vor ihm steht ein Mann in Unterwäsche und mit einer großen, leeren teflonbeschichteten Kasserolle in der Hand. Bunny hat einen Eins-a-Blick auf eine reichlich primitive Darstellung eines gaunerhaften Woody Woodpecker mit seiner Zigarre und dem anzüglichen Grinsen, die auf die Knöchelinnenseite des Mannes tätowiert ist. Außerdem hat der Mann einen eitrig entzündeten Fußnagel.
»Wer sind Sie?«, fragt Bunny und sieht zu ihm empor.
Er entdeckt Georgia, die in einem hässlichen Bombasin-Morgenmantel hinter dem Mann mit der Kasserolle steht, und Bunny zeigt auf den Mann und brüllt: »Wer ist denn der da?«
Georgia, deren Hand beschützend auf dem breiten, reich bebilderten Rücken des Mannes liegt, guckt ernsthaft verwirrt zu ihm runter und fragt: »Mr. Munro, sind Sie das?«
»Ich dachte, der wäre weg weg!«
Der Mann mit der Tätowierung am Knöchel – wo hat er die eigentlich her? Aus dem Kittchen? Aus dem Kindergarten? – reicht Georgia die Kasserolle, beugt sich zu Bunny runter und fragt in einem Endzeit-Flüsterton: »Was
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