Der Tod des Bunny Munro
ist, schluckt ihn und wiederholt das Ganze, bis er die ganze Liste aufgegessen hat. Jetzt ist ein für alle Mal Schluss damit, denkt er.
Nebelfetzen kräuseln sich um den Punto, und Bunny Junior sieht, wie eine monströse, alles verschlingende Wolke wie ein Fantasieprodukt auf ihn zurollt und alles auf ihrem Weg in Geister verwandelt. Der Junge lehnt sich zurück, schließt die Augen und lässt sich von ihr verschlingen.
Später, als er die Augen wieder öffnet, sieht er seine Mutter, die in ihrem orangefarbenen Nachthemd auf einer niedrigen, cremefarbenen Steinmauer dem Punto gegenübersitzt. Sie lächelt ihm zu und winkt ihn zu sich heran. Bischofsstäbe aus Nebel umspielen ihr Gesicht, und bei jeder Handbewegung zieht sie purpurne Rauchbänder hinter ihren Fingern her. Bunny Junior öffnet die Tür des Puntos und tritt wie ein kleiner Astronaut hinaus in die diesige Luft. Er schwebt um den vorderen Kotflügel herum und über den Fußweg und setzt sich neben seine Mutter auf die Mauer. Sofort spürt er eine pulsierende Wärme und sieht zu ihr hoch.
»Es tut mir so leid, Mum«, sagt er.
Seine Mutter legt den Arm um ihn, und der Junge lehnt den Kopf an sie, und sie ist weich, riecht wie von einer anderen Welt und ist wirklich seine Mutter.
»Ach, mein kleiner Spatz, mir tut es auch leid«, antwortet sie und drückt die Lippen auf sein Haar. »Ich war nicht stark genug«, sagt sie und umfasst das Gesicht des Jungen mit beiden Händen. »Aber du bist stark. Du warst schon immer stark«, und der Junge spürt, wie ihre Tränen auf seinem Haar zerplatzen, als wären sie echt.
»Du fehlst mir so sehr, Mummy.«
»Ich weiß«, antwortet sie, und der Junge sagt: »Weine nicht.«
»Siehst du?«, erwidert seine Mutter. »Du bist der Starke.«
»Was machen wir mit Dad?«, fragt Bunny Junior.
Seine Mutter fährt ihm mit dem Finger durchs Haar und sagt, nicht unfreundlich: »Dein Vater kann dir nicht helfen. Er ist ein für alle Mal verloren.«
»Das ist in Ordnung, Mummy«, erwidert der Junge. »Ich bin der Navigator.«
Seine Mutter drückt dem Jungen einen Kuss aufs Haar und flüstert: »Du hast so ein gutes kleines Herz.«
»War es das, was du mir sagen wolltest?«, fragt der Junge.
»Nein, ich bin gekommen, um dir etwas anderes zu sagen.«
»Darf ich dich zuerst was fragen?«
»Okay.«
»Lebst du, Mummy? Du fühlst dich so an. Ich hör dein Herz schlagen«, sagt der Junge und drückt seine Mutter fest an sich.
»Nein, Bunny Boy, ich lebe nicht«, antwortet sie. »Ich bin gestorben.«
»War es das, was du mir sagen wolltest?«
»Ja, aber noch etwas anderes. Pass auf: Du darfst nie verzweifeln, egal, was passiert. Hast du verstanden?«
Der Junge sieht zu seiner Mutter hoch.
»Ja, ich glaub schon«, erwidert er. »Du willst damit sagen, dass bald irgendwas ganz Schlimmes passiert und ich stark sein soll.«
Seine Mutter nimmt ihn in den Arm. »Siehst du?«, sagt sie lächelnd.
Bunny geht in das Zimmer am Ende des Flurs. Eine einzelne nackte Glühbirne an der Decke taucht den Raum in ein schummriges Licht, und in diesem stickigen Kabuff ist das Pfeifen so ohrenbetäubend und eindringlich, dass Bunny mit zusammengekniffenen Augen im Dunkel nach dem Ursprung sucht. An der hinteren Wand lehnt eine Gitarre an einem Verstärker und erzeugt eine Rückkoppelung. Erst nach einer Weile bemerkt Bunny eine junge Frau, die auf einem abgeranzten Sofa in der Mitte des Zimmers sitzt, völlig reglos. Sie ist spindeldürr, trägt ein blassgelbes Top, einen pastellrosa Slip und sonst nichts. Bunny betrachtet die Konturen ihrer Schulterknochen, rund wie Kopfsteinpflaster, die spitzen Winkel ihrer Knie, ihre Ellbogen und ihre Handgelenke. Eine Hand liegt spinnenartig gewölbt in ihrem Schoß, und zwischen ihren Fingern brennt eine Zigarette. Ihr Kopf ist nach vorn gefallen, und ihr glattes, braunes Haar hängt vor ihrem Gesicht wie eine Gardine.
»Miss Mary Armstrong?«, sagt Bunny und tritt näher an sie heran.
Das Mädchen schreckt plötzlich hoch, hebt den Kopf und krächzt langsam und dumpf: »Die wohnt nich mehr hier. Wollen Sie zu Mushroom Dave?«
Ihre Lider schließen sich, und ihr Kopf fällt wieder auf die Brust.
»Mushroom Dave … is … nich … da«, murmelt sie in sich hinein.
Bunny geht rüber zum Verstärker und schaltet ihn aus, und plötzlich herrschte eine stille, zauberhafte Atmosphäre im Raum. Glitzernde Wölkchen aus Silberstaub schweben um die Glühbirne herum, und Bunny geht auf das Mädchen
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