Der Tod des Bunny Munro
Hause zu fahren, Dad«, sagt Bunny Junior, und plötzlich schnürt ihm eine entsetzliche Angst die Kehle zu. Er legt seinem Vater die Hand auf die Schulter, als wollte er ihn daran hindern, eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen auszulösen.
»Dad?«, sagt er.
»Warte hier«, antwortet Bunny und entzieht ihm die Schulter.
Bunny stößt die Tür des Punto auf und setzt einen Fuß in den Rinnstein, in seinen Adern wütet der Whisky. Er wetzt über den Gehweg, bleibt stehen, tätschelt sinnlos seine Stirnlocke, die aussieht wie ein ausrangierter Putzlappen, und zieht an der Krawatte mit den toten Kaninchen. Dann bahnt er sich blindlings seinen Weg durch die Plastikstühle und -tische und sagt zu den drei Frauen mit den Zigaretten und Cappuccinos: »Ich heiße Bunny Munro. Ich bin Vertreter. Ich verkaufe Schönheitsprodukte.«
Die Frauen sehen einander verwirrt an, und die Blonde, die einen Klecks Schokoladenschaum auf der Oberlippe hat, fängt an zu lachen und schlägt eine langfingrige Hand vor den Mund.
Bunny springt auf der Stelle und lässt die Hände hinter dem Kopf wackeln wie Hasenöhrchen. »Ich verkaufe reichhaltige Anti-Aging-Feuchtigkeitslotionen, die Ihre Haut geschmeidig machen und verbrauchte Zellen schonend entfernen, um ihr ein jüngeres, glatteres Aussehen zu verleihen!«, rattert er manisch und unter Hochdruck herunter.
»Entschuldigen Sie mal!«, sagt die Blonde, die aufgehört hat zu lachen, aber Bunny brüllt jetzt, und aus dem grollenden Himmel schüttet es wie aus Eimern.
»Die wertvolle Lotion weckt das volle Potenzial Ihrer Haut und verhilft Ihnen zu jugendlicher Schönheit, und Sie tauchen in eine Oase von Sinnlichkeit und Wohlbefinden ein!«
Bunny fällt auf die Knie, schlingt die Arme um die langen, wohlgeformten Beine der Blonden, vergräbt das Gesicht in ihrem Schoß und spürt, wie in seinem Kopf alle Stränge, die ihn noch an die rationale Welt binden, zerreißen wie Gummibänder, und er brüllt in ihr Kleid: »Was soll ich denn bloß machen?!«
»Hilfe, Kellner!«, schreit die Frau. »Kellner!«
Bunny blickt hoch zu der Frau und sieht durch einen Tränenschleier den Schokoladenschaumstreifen auf ihrer Lippe.
»Würden Sie mich bitte ficken?«, fragt er.
Die Frau weicht zurück, die langen Finger vor dem Mund. Die Brünette und die Rothaarige rücken mit den Stühlen vom Tisch ab.
»Hilfe, Kellner!«, kreischen sie.
Bunny steht auf und sieht aus dem Augenwinkel das Gesicht von Bunny Junior, eine kleine, ängstliche Denkblase im Autofenster, und er breitet die Arme aus, schaut die Gäste an, die vor Schreck immer kleiner werden, und brüllt aus vollem Hals:
»Würde mich bitte irgendjemand ficken?«
Der Donner rollt, und Bunny hört die entsetzten, vertrauten Schreie der Frauen – vieler, aller Frauen –, als er mit gebleckten Zähnen und aufgerissenem Mund nach ihnen grapscht, sie anspringt und sich auf sie stürzt, bis ihm ein italienischer Kellner mit blauem Kinn und schwarzer Schürze von hinten einen Arm um die Brust schlingt und ihn aus dem Café auf die Straße zerrt.
Mit einem Stoß setzt der Kellner Bunny auf dem nassen Fußweg vor dem Punto ab und geht steifbeinig davon.
Bunny reißt die Autotür auf, quetscht sich in den Punto und sieht den Jungen an. Er dreht den Zündschlüssel um, lässt den Motor aufheulen und sieht noch einmal den Jungen an. Und dann prescht er auf die regennasse Straße – genau in dem Moment, als ein brauner DUDMAN-Betonmischer mit rotierender Trommel und fieberhaft gegen den Regen anpeitschenden Scheibenwischern in den Gegenverkehr gerät. Der braune, tätowierte Arm hängt schlaff aus dem Fenster, und Bunny sieht den Jungen an. Der Betonmischer hupt – einmal und dann noch einmal –, und dann beschleunigt er und kracht frontal in den Punto. Metall wird brutal zusammengepresst, Glas zersplittert, und Bunny fliegt aus dem Wagen und sieht den schreienden Jungen an.
30
Bunny schlägt die Augen auf, und die Welt trägt einen Rotschleier. Vage wird ihm klar, dass er auf Händen und Knien mitten auf einer Straße hockt. Aus der Ferne hört er Gejammer, und ein heftiger Regen prasselt auf ihn runter. Sein eigenes Blut hat den Boden unter ihm pink gefärbt. Bunny kriecht ein Stück und fragt sich, was er da tut. Er dreht sich um und sieht ein kleines, gelbes Auto, das in einen braunen Zementmischer verkeilt ist, und steht langsam auf. Er blickt an sich runter und wundert sich, warum er eine Kinderenzyklopädie in den Händen hält.
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