Der Tod des Bunny Munro
Jungen hinaus.
»Sohn?«, sagt der Alte.
Bunny dreht sich um und sieht seinen Vater an. Der alte Mann hält ihm das Taschentuch mit dem Auswurf hin, und aus seinen Augen laufen gelbe Tränen.
»Ich sterbe, Sohn«, sagt er.
Bunnys Augen werden feucht.
»Dad?«, sagt er und will wieder ins Zimmer gehen, aber der Alte nimmt seinen Stock und drückt mit letzter Kraft die Tür zu.
29
Der Regen prasselt auf den Punto nieder und peitscht gegen die grünen Müllsäcke, die mit Gaffer-Tape über die zerschlagenen Fenster geklebt sind. Wie durch ein Wunder sind sie heil geblieben, haben Bunny Juniors Enzyklopädie trocken gehalten und den Jungen nicht in den Selbstmord oder zu Gott weiß was getrieben. Purpurner Donner grollt, und knisternde Blitzadern durchzucken den Himmel. Bunny Junior drückt die Enzyklopädie an die Brust wie seinen einzigen Freund auf der Welt – bloß dass sie ihm im Moment nicht weiterhilft, weil er nicht weiß, was er von alldem halten soll. Er weiß, dass auf den Seiten der Enzyklopädie alles Wissen versammelt ist, das man je brauchen könnte – die Antwort auf jede Frage. Aber er weiß trotzdem nicht, was er von alldem halten soll. Er weiß, dass Edgar Rice Burroughs Tarzan bei den Affen geschrieben hat, er weiß, dass es vieräugige Fische gibt, die gleichzeitig über und unter Wasser sehen können, und er weiß sogar, dass Joseph Guillotin die Guillotine nicht erfunden hat, aber er weiß nicht, was er mit seinem Dad machen soll, der mit tränenüberströmtem Gesicht neben ihm sitzt, nichts sagt, keine Ahnung hat, wohin er fahren soll oder was er sucht, und die ganze Zeit nur im Kreis fährt. Er hat bei einem Laden angehalten und ein Päckchen Zigaretten und eine Flasche Whisky gekauft, und jetzt raucht er wie ein Schlot, säuft wie ein Loch, fährt wie ein Geisteskranker und weint wie keine Ahnung wer.
Aus irgendeinem Grund muss Bunny Junior die ganze Zeit an das Aufziehvögelchen mit den bunten Flügeln und dem hübschen Liedchen denken, und dabei wünscht er sich erst recht, sein Dad würde aufhören zu weinen, damit er auch mal dran ist.
»Dad?«, sagt der Junge, und Bunny steuert den Punto in eine leere Parklücke vor einem kleinen Café an der Western Road. Die Leute sitzen dicht gedrängt unter einer gestreiften, tropfenden Segeltuch-Markise, rauchen und trinken Kaffee; sie tragen T-Shirts, Miniröcke und Flip-Flops und sind auf diesen sommerlichen Regenguss nicht vorbereitet.
»Ich hab heute mit Mummy gesprochen«, sagt der Junge über seine Enzyklopädie hinweg, die er immer noch an die Brust drückt.
Ein Penner mit einer hautfarbenen Augenklappe humpelt vorbei, seine unglaublich geschwollenen Füße in durchweichte Lumpen gewickelt. Seine Hose ist vorn nass, und auf dem zu kleinen T-Shirt, aus dem das verfilzte Haar an seinem Bauch rausguckt, steht ›SHIT HAPPENS WHEN YOU PARTY NAKED‹. Er schlägt mit einer Blechtasse gegen die Scheibe des Punto und späht hinein, mustert mit einem wahnsinnigen Auge die Insassen, schüttelt entsetzt den Kopf und schlurft in den Regen davon.
»Was hast du gesagt?«, fragt Bunny, dreht sich zu Bunny Junior um und sieht ihn an, als hätte er gerade erst gemerkt, dass ein neunjähriger Junge neben ihm sitzt.
»Ich hab heute mit Mummy gesprochen.«
»Was?«, fragt er noch einmal.
»Sie war es wirklich, Dad. Wir haben lange geredet.«
»Du hast was?«, fragt Bunny panisch, klopft auf seinem Jackett herum und blickt in alle Richtungen gleichzeitig. Er stürzt einen Schluck Scotch hinunter, zieht an seiner Lambert and Butler, bläst zwei Rauchknochen aus der Nase und ruft: »Du hast was?«
»Sie sagt, sie kommt dich bald besuchen«, sagt Bunny Junior.
»Hä?«, sagt Bunny in den prasselnden Regen hinein und wiederholt das Prozedere mit Whisky und Zigarette.
»Dad, ich glaub, ich würde gern wieder zur Schule gehen«, fährt der Junge fort.
»Hä?«, sagt Bunny, und er sieht zu dem Café hinüber und entdeckt inmitten des Schutz suchenden Menschenknäuels drei Frauen, die ins Gespräch vertieft sind, Kaffee trinken und rauchen. Eine ist blond, die andere brünett und die dritte rothaarig.
»Wir sollten nach Hause fahren, Dad«, sagt der Junge.
»Wohin?«, fragt Bunny, und ein panischer Krampf zuckt über sein Gesicht, er reißt die Mülltüte ab und starrt durch das kaputte Fenster die drei Frauen an. Ein mächtiger Regenschwall schießt herein, Bunny wird klatschnass und brüllt in die Sintflut: »Was?«
»Ich finde, es ist Zeit, nach
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