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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Libbys Mutter, Mrs. Pennington, faucht ihn mitten aus dem Saal zornig an, das Gesicht zu einer entsetzlichen Maske verzerrt, und richtet einen knöchernen, schwarz behandschuhten Finger auf ihn.
    Aber Bunny lässt sich nicht beirren.
    Das Wohl seines Sohnes ist für ihn das Wichtigste auf der ganzen Welt, und er weiß, dass er die Uhr nicht zurückdrehen und alles ungeschehen machen kann, sagt er, aber mit der Hilfe des Publikums könnte er das Blatt vielleicht wenden, sein erbärmliches Leben ändern und ein wenig Selbstachtung zurückgewinnen. Er bittet die Menge inständig, ihn anzuhören.
    Vielleicht ist es die blinde alte Dame, Mrs. Brooks – wer weiß? –, aber irgendwo sagt jemand: »Ruhe! Lasst ihn sprechen«, und nach einer Weile beruhigt sich die tobende Menge ein wenig, und als Bunny davon erzählt, wie sehr er seinen neunjährigen Sohn liebt, schwappt eine Welle der Rührseligkeit durch das Publikum, und irgendwo schüttelt jemand den Kopf und ruft: »Sie Ärmster«, der Zorn der Menge verraucht allmählich, und die Leute beginnen zuzuhören.
    Dann geht Bunny einen Schritt vor und breitet die Arme aus, der rote Schweiß strömt von seinen Handgelenken wie Blut, auf seiner Brust lodern Flammen auf, und er sagt: »Aber zuerst brauche ich eure Hilfe.« Er senkt seinen tropfenden Kopf, und kurz darauf hebt er ihn wieder.
    »Es tut mir wirklich sehr leid«, sagt er.
    Bunny tritt noch einen Schritt vor, und plötzlich entfernt sich die Menge von ihm, als würde sie weggezoomt, und er klammert sich an die Erinnerung an sie.
    »Würdet ihr mir bitte noch einmal verzeihen?«
    Tränen laufen ihm über die Wangen – rote, lilafarbene und grüne –, Georgia schluchzt leise, und Zoë und Amanda nehmen sie tröstend in den Arm, die Mädchen aus dem Funky Buddha und der Babylon Lounge tupfen sich gegenseitig mit zusammengeknüllten Papiertaschentüchern die Tränen aus den Augen, und durch den Saal rollt eine große Woge kollektiven Gefühls, wie man sie sonst nur aus dem Fernsehen kennt, das Publikum beginnt zu applaudieren – denn sie sind Menschen und möchten so gern verzeihen –, und Bunny geht zum Bühnenrand und steigt die drei flachen Stufen hinab in den Saal.
    River, die Kellnerin, wirft Bunny die Arme um den Hals, weint Erdbeertränen auf seine Brust und vergibt ihm, Mushroom Dave umarmt Bunny und vergibt ihm, das kleine Junkiemädchen lächelt ihn durch das geglättete Haar hindurch aus ihren Kajalaugen an und verzeiht ihm, all die Mädchen von McDonald’s, Pizza Hut und KFC halten Bunny fest, küssen ihn und verzeihen ihm, Mrs. Pennington kommt zusammen mit ihrem Mann im Rollstuhl auf ihn zu und streckt die Arme nach ihm aus, Bunny umarmt sie, sie weinen zusammen, und sie vergibt ihm, und auf seinem Weg durch die Menge spürt Bunny einen kühlen Hauch und sieht, wie sich eisiger Dampf von seinen Lippen kräuselt, und die wie Frida Kahlo gekleidete Charlotte Parnovar schließt ihn in ihre muskulösen Arme und vergibt ihm, die blinde Mrs. Brooks streckt die altersfleckigen Hände nach ihm aus und vergibt ihm, die Leute küssen und umarmen ihn, klopfen ihm auf die Schulter und verzeihen ihm – denn wir wollen so gern verzeihen und wünschen uns, dass auch uns verziehen wird –, und Bunny sieht zwischen all den Leuten seine Frau Libby in ihrem orangefarbenen Nachthemd. Er geht auf sie zu, die Menge teilt sich, und er lächelt in einen bunten Lichtfleck hinein und fleht: »Verzeih mir, Libby. Oh Libby, verzeih mir«, und dabei rollen ihm dicke, grüne Öltränen übers Gesicht.
    »Hey, mach dir deswegen keine Sorgen«, sagt sie mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Dafür ist noch genug Zeit.«
    »Ich bin ein bisschen durchgedreht. Du hast mir so gefehlt«, sagt Bunny, und violettes Blut tropft ihm von der Stirn, rinnt von seinen Händen und läuft in Strömen über die Tanzfläche.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagt Libby. »Um Bunny Junior brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen.«
    »Heißt das, du verfolgst mich jetzt nicht mehr?«
    Bunny hört die Sirene eines Polizeiautos oder Krankenwagens, die eine Million Meilen entfernt ihr Klagelied durch die psychedelische Nacht heult. Er glaubt, überall um sich herum heftigen Regen niederprasseln zu hören, wie Applaus.
    »Dich verfolgen?«, fragt sie und runzelt die Stirn. »Was meinst du damit?«
    »Du fehlst mir nur so sehr.«
    »Ich habe dich nie verfolgt«, sagt sie und füllt den Raum mit Stroboskopblitzen.
    »Und was tust du jetzt gerade?«, fragt

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