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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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kokette Blicke zu.
    Und da drüben steht Emily, die Kassiererin von McDonald’s, sie trägt ein knappes, gelbes Top und eine enge rote Hose, und ihre Haut strahlt. Mit großen Augen schaut sie sich im Kaiserinnen-Ballsaal um, als hätte sie noch nie im Leben so was Schönes gesehen. Sie klatscht begeistert, und der seltsame kleine Ansager mit dem rosa Toupet hebt die Hände, um die Menge zu beruhigen.
    »Aber im Ernst, Leute, bevor der Spaß beginnt, haben wir hier einen Herrn, der heute Abend zu Ihnen gekommen ist, um Ihnen ein paar Worte zu sagen.«
    Bunny wischt sich mit dem Taschentuch über das Gesicht und sagt zu dem Musiker mit dem Saxofon und dem Schnurrbart: »Das bin dann wohl ich.«
    »Zeig’s ihnen, Bruder«, sagt der Musiker und klopft Bunny auf die Schulter. »Zeig’s ihnen!«
    Bunny nimmt einen letzten Exekutionskommando-Zug von seiner Lambert and Butler und tritt sie aus. Dann zieht er den Vorhang beiseite, tätschelt seine Schmachtlocke und geht raus auf die Bühne, und der Conférencier legt einen neckischen Twostep aufs Parkett, breitet die Arme aus und sagt: »Ich bitte Sie also um einen kräftigen Applaus für Mr. Bunny Munro!«

33
    Unter blindem und tosendem Applaus geht Bunny auf die Bühne. Er tritt in einen Fleck aus rotem Licht, das sich wie Tinte über den Bühnenboden ergießt. Bunny hört das Publikum stampfen, jubeln und pfeifen, und für einen kurzen Moment löst sich die drückende Furcht um sein Herz, und er denkt, dass sein Vorhaben alles in allem vielleicht doch nicht so abwegig ist, dass es eigentlich gar keine so blöde Idee war, an all die Frauen hier Einladungen zu verschicken. Aber als er den Arm ausstreckt und das rote Licht sieht, das sich in seiner hohlen Hand sammelt wie Blut, wird ihm klar, dass es nichts Einfaches auf der Welt gibt. Warum auch? Er tritt näher an den Bühnenrand, stellt sich mit beiden Beinen fest auf die Bretter und sieht ins Publikum.
    Sein Herz verkrampft sich vor Scham, als er die alte Dame entdeckt, Mrs. Brooks, die jetzt eine Sonnenbrille und pinkfarbenen Lippenstift trägt und im Rollstuhl sitzt. Ihre Haut sieht bedeutend jünger aus, sie wiegt sich gleichmäßig vor und zurück und wirkt munter und voll neuer Kraft. Hinter ihr steht eine hübsche junge Pflegerin, die der alten Dame liebevoll eine Hand auf die Schulter legt.
    Neben ihr steht das junge Mädchen aus der Babylon Lounge in Hove, dem er die K.-O.-Tabletten in den Drink gemixt hatte. Sie trägt ein umwerfendes Cocktailkleid aus brombeerfarbenem Taft und albert mit einer glutäugigen Schönheit in einer dunklen Satin-Röhrenhose und goldenen Pumps herum, mit der er nach einem Abend im Funky Buddha eine ähnliche Nummer durchgezogen hatte. Bunny spürt, wie ihm die Schamesröte den Hals hochsteigt.
    Er sieht ein Mädchen mit langen, geglätteten Haaren, abgefahrenen Kajal-Augen und Lippen wie Amors Pfeil, und er erkennt sie als die Avril-Lavigne-Doppelgängerin aus dem Bungalow in New Haven. Neben ihr steht, im schwarzen Anzug und mit schwarzer Krawatte, Mushroom Dave. Er hat eine Zigarette im Mundwinkel, wippt mit dem Fuß und legt ihr beschützend den Arm um die Schulter. Er flüstert dem Mädchen etwas zu, und sie sehen einander an und lächeln.
    Und so geht es weiter, Bunny sieht hierhin, dorthin und irgendwo in die Mitte und entdeckt da und dort und dann wieder ganz woanders irgendjemanden. Immer und immer mehr Gesichter tauchen aus den moosbewachsenen Tiefen seines Gedächtnisses auf, ein jedes begleitet von einer brennenden Scham – Sabrina Cantrell, Rebecca Beresford und Rebecca Beresfords hübsche, junge Tochter –, und da drüben, im wandernden Lichtkegel des Scheinwerfers, sieht er Libbys Mutter, Mrs. Pennington, die jetzt lächelt und ihrem leidgeprüften Mann im Rollstuhl die Schultern reibt.
    Er sieht immer mehr von ihnen, sie drängen sich vor der Bühne, wiegen sich auf der Tanzfläche, stehen auf Zehenspitzen hinten im Saal und winken von den verzierten Balkonen – all diejenigen und all die anderen, in allen möglichen Gestalten, Formen und Inkarnationen; an manche erinnert er sich halb, manche hat er halb vergessen, und andere sind kaum mehr als ein verwischter Fingerabdruck in seinem Gedächtnis –, aber alle sehen prächtig, strahlend und rundum perfekt aus.
    Bunny sieht all die Frauen auf sich zukommen – aus der Sozialwohnung, der runtergekommenen Bude, dem Apartment und der schäbigen Absteige, aus dieser sterbenden Küstenstadt und jener sterbenden

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