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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Küstenstadt, aus den erbärmlichen Tagen, Monaten und Jahren seines Lebens, eine wimmelnde Parade der Kummervollen, Gramgebeugten, Verletzten und Beschämten – aber seht nur! Seht in ihre Gesichter! – sie sind jetzt glücklich, wunschlos, grenzenlos und unbeschreiblich glücklich im ewig schönen Kaiserinnen-Ballsaal des Butlins Feriencamps in Bognor Regis.
    Doch dann, als Bunny blinzelnd ins Rampenlicht tritt und mit dem Zeigefinger zweimal an das Mikro tippt, streckt River, die Kellnerin aus dem Grenville Hotel – sie sieht liebreizender aus als sonst irgendjemand auf der Welt –, vorn in der ersten Reihe zornig den Arm aus, richtet einen violetten Finger auf ihn und schreit gepresst: »Mein Gott, der ist das!«
    Plötzlich kippt die Stimmung. Wie die Umkehrung eines losbrechenden Beifallssturms wird der Applaus aus dem Raum gesogen, es herrscht Verwirrung, und all die zornigen Glühbirnen des Widererkennens leuchten gleichzeitig auf. Dann folgt ein vielstimmiger Aufschrei der Empörung und bricht mit solcher Wucht über Bunny herein, dass er nach hinten geschleudert wird und fast umfällt.
    Bunny tritt wieder ans Mikro, beugt sich vor und sagt in den fegefeuerähnlichen Sturm der Entrüstung hinein:
    »Mein Name ist Bunny Munro. Ich verkaufe Kosmetikprodukte. Ich bitte Sie kurz um Ihre Aufmerksamkeit.«
     
    Bunny sieht runter ins Publikum und beginnt.
    Er erzählt der Menge von seinem Frontalzusammenstoß mit dem Betonmischer. Er erzählt, wie er von einem Blitz getroffen wurde und sein neunjähriger Sohn nur knapp dem Tod entrann. Bunny spricht von alldem wie von einem unerhörten Ereignis, einem Wunder, und stellt eine Frage in den Raum.
    »Warum wurde ich verschont?«, fragt er in Zeitlupe, und knisternde, gelbe Blitze huschen wie Risse über die purpurgoldene Decke. Die Bühnenlichter wandern über sein Gesicht, rot, lila und dunkelgrün, die Discokugel dreht sich langsam und besprenkelt ihn mit funkelnden Lichtsplittern, und all das fühlt sich an wie in einem Traum.
    Er erzählt dem Publikum von seinem schändlichen Leben. In allen Einzelheiten berichtet er von den Leu ten, die er ausgenutzt hat – wie er die Welt und alles darin mit Verachtung behandelte.
    »Ja, ich war Vertreter«, sagt Bunny, »Klinkenputzer, von Haustür zu Haustür«, und er schließt die Augen und gibt sich seiner ohnmächtigen Beichte hin, sein Körper erhebt sich in die Luft und schwebt auf regenbogenfarbenen Gebeten. Bunny greift sich ins Hemd und fährt mit dem Finger über die erhabene Narbe, die die elektrische Entladung seinem Körper eingeschrieben hat, und er redet vom Wesen der Liebe, welche Angst sie ihm einjagte und wie ihn ihre schiere Existenz entsetzt das Weite suchen ließ, und als er von dem Selbstmord seiner Frau und von seiner eigenen Verantwortung für diese schreckliche Tat erzählt, erblühen auf seinen Handflächen rote Schweißtropfen. Er redet darüber, wie sehr sie ihm fehlt und wie sehr sie seinem Sohn fehlt.
    Er erzählt dem Publikum von seiner Gewissenskrise, davon, dass er all seine schändlichen Taten und das von ihm verursachte Leid in einer endlosen Kette an sich vorbeiziehen sah und buchstäblich vom Teufel besessen war, und um seine Füße herum sammelt sich buntes Wasser und strömt wie ein Fluss über die Bühne.
    »Warum wurde ich verschont?«, fragt er das Publikum noch einmal, in Farbe und in Zeitlupe.
    Er sagt, er habe nach einer Weile aufgehört, darüber zu grübeln, warum er nicht gestorben ist, und überlegt, wie er sein Leben in Zukunft verändern könnte. Er erzählt dem Publikum, dass sein Vater an Lungenkrebs sterben wird und er ihn pflegen will. Von nun an möchte er mit etwas mehr Würde durchs Leben gehen. Aber vor allem will er sich um seinen kleinen Sohn kümmern, Bunny Junior.
    Zuerst schelten sie ihn. Sie pfeifen, buhen ihn aus und drohen ihm mit Fäusten. Mushroom Dave tritt vor und schnippt gekonnt eine Zigarette auf Bunny, und als sie mit einem Funkenregen an seiner Brust zerspringt, brodelt der Zorn der Menge erst so richtig auf. Charlotte Parnovar hüpft auf Zehenspitzen auf der Stelle, macht drohende Gebärden und sieht aus, als wollte sie jeden Moment auf die Bühne springen und mehr Friedlichkeit, Integrität und Respekt verbreiten, indem sie Bunny ein zweites Mal die Nase einschlägt. River zeigt immer noch mit dem Finger auf ihn und kreischt irgendwas Unverständliches. Ein Weinglas fliegt in hohem Bogen auf ihn zu und zerschmettert hinter ihm auf der Bühne.

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