Der Tod des Chefs/Mord mit doppeltem Boden
die
Vernünftige der Familie. Aber in Minneapolis, wo sie lebte, war es jetzt schon
nach eins. Ich wollte sie nicht aufregen und sie womöglich um ihren
wohlverdienten Schlaf bringen.
Ich müßte eben selbst mit dieser Sache
fertig werden. Bestimmt würde ich mich nicht als Opfer eines Anglo-Bullen
hergeben. Ich wußte schließlich, daß ich keinen Mord begangen hatte.
Aber wer war es gewesen? Ich hatte
keine Ahnung.
Und wie? Ich konnte es mir nicht
vorstellen.
Vergiß das alles, sagte ich mir.
Konzentriere dich auf Frank und das, was du über die Menschen um ihn herum
weißt. Beinahe alle, selbst die Mitglieder seiner mexikanischen Mafia hatten
ihn gehaßt. An möglichen Verdächtigen fehlte es also nicht.
Ich betrachtete sie einen nach dem
anderen.
Jesse. Ich fing aus dem gleichen Grund
bei ihm an, aus dem Kirk bei mir angefangen hatte. Jesse hatte zugegeben, daß
er eine heftige Auseinandersetzung mit Frank gehabt hatte. Was hatte er gleich
gesagt? »Ich hab mich erboten, ihm eigenhändig den fetten Hals umzudrehen.«
Jesse war so jähzornig wie ich, wenn nicht noch mehr. Aber konnte er wirklich tätlich
werden, wenn man ihn weit genug trieb? Ich hatte nie Gelegenheit gehabt, das zu
erfahren.
Maria. Sie hatte zweifellos Grund,
ihren angeheirateten Onkel zu hassen. Normalerweise fuhr sie mit Frank im Auto
zur Arbeit und nach Hause. Am vergangenen Abend aber hatte sie erklärt, sie
wolle zu Fuß nach Hause gehen. Jetzt, als ich darüber nachdachte, schien mir
das seltsam. Maria war zimperlich, und der Weg war weit. Wollte sie vielleicht
ganz woanders hin? Ich nahm mir vor, das herauszufinden.
Rosa de Palma. Ihr Mann hatte, wenn das
stimmte, was Vic sagte, ein Verhältnis zu einer anderen Frau gehabt. Ich kannte
Rosa nicht näher, aber viele Frauen, die in ähnlichen Verhältnissen
aufgewachsen waren wie ich, akzeptierten diese Seitensprünge ihrer Ehemänner als
unabänderlichen Teil ihres Lebens. Schwelte da nicht doch vielleicht Groll
unter der Oberfläche? War es nicht möglich, daß irgendein Ereignis die
zurückgewiesene Ehefrau zu einer Verzweiflungstat trieb? Ich mußte mehr über
Rosa in Erfahrung bringen.
Die unbekannte Frau. Ich mußte
herausbekommen, wer Franks Geliebte gewesen war.
Isabel. Sie konnte über die kühle
Aufnahme ihres árbol de la vida erbittert gewesen sein. Hatte sie nicht
gesagt, sie wolle »ein Wörtchen« mit Frank reden, ehe sie ging? Hatte sie es
getan? Wenn ja, um was war es gegangen?
Tony. Da stand ich nun wirklich vor
einem Rätsel. Wo, zum Teufel, war der Kolumbier? Ich hatte den ganzen
Nachmittag immer wieder versucht, ihn anzurufen, aber unter seiner Nummer hatte
sich niemand gemeldet. War er so krank, daß er nicht einmal ans Telefon hatte
gehen können? Aber wo war dann Susana? Kirk hatte, als er am Nachmittag noch
einmal mit mir gesprochen hatte, durchblicken lassen, daß sein Besuch bei Tony
auch erfolglos gewesen war. Er schien darüber nur irritiert, ich aber fand
Tonys Unerreichbarkeit verdächtig. Die Gründe seiner Abwesenheit aufzudecken,
sollte mein erstes Ziel sein.
Vic. Es fiel mir schwer, den großen,
schwermütigen Mann zu verdächtigen. Er hatte an Frank gehangen. Aber dann fiel
mir der Ausdruck auf seinem Gesicht ein, als Frank am vergangenen Nachmittag
aus dem Volkskunstsaal gegangen war. Was wußte ich denn schon von Vic? Ich
mußte versuchen, mehr über ihn zu erfahren.
Plötzlich erschreckte mich ein
Kratzgeräusch, und ich hob mit einem Ruck den Kopf. Das Geräusch hörte auf,
fing wieder an. Mit einem nervösen Lachen erkannte ich, daß die Zweige des
Jacaranda, die Dach und Mauer des Hauses streiften, das Geräusch machten. Ich
stand auf und ging zum Fenster. Nebel wälzte sich in dichten Schwaden durch den
Garten.
Ein Schatten fiel an die Wand neben
mir. Er war riesengroß und kam von der Tür her. Unwillkürlich griff ich mir an
den Hals. Einen Moment war ich wie gelähmt. Dann drehte ich mich langsam um.
Es war Vic.
»Mein Gott, was tun Sie denn hier?«
Meine Stimme klang schrill.
»Es tut mir leid, daß ich Sie
erschreckt habe. Gerade, weil ich Sie nicht erschrecken wollte, hab ich nichts
gesagt.« Er lächelte ein wenig. »Aber das war offensichtlich auch nicht die
richtige Methode.«
»Nach einem Tag wie heute ist jede
Methode falsch.« Ich zog meine Jacke enger um mich und ging vom Fenster weg.
»Es ist direkt unheimlich hier, besonders mit dem Nebel da draußen.«
»Kommen Sie mit in mein Büro. Ich hab
den kleinen Heizstrahler
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