Der Tod des Maerchenprinzen
vertrauen. Damals hatte ich das mit seiner Heimvergangenheit noch gar nicht im Kopf. Das war eine rein gefühlsmäßige Entscheidung. Ohne rationale Begründung. Eine Entscheidung, hinter der ich voll gestanden habe. Und jetzt wird mir klar warum. Und daß diese Entscheidung richtig war. Daß ich es ja wirklich viel leichter habe, zu jemandem Vertrauen zu fassen. Weil ich andere Erfahrungen hinter mir habe als Arne.
Und dann wird mir auch klar, woraus dieses Vertrauen besteht, das ich ihm gegenüber habe. Plötzlich kann ich es in Worte fassen: Arne hat mich nie verletzen wollen. Er hat mir immer nur deshalb weh getan, weil er selber mit sich nicht klarkam. Siehe das Vergewaltigungsbeispiel. Siehe seine Reaktion auf die Sachen, die ich geschrieben hab. Eigentlich wäre sein Kommentar eine Unverschämtheit. Ich gebe ihm mehrere — zig Seiten zu lesen über meine sexuellen Erfahrungen, und das einzige, was er dazu sagt, ist: «Ich find’s nicht gut. Ich find, daß du deinem eigenen Anspruch nicht gerecht wirst. Daß du die Sicht der Männer nicht berücksichtigst. Ich find’s oberflächlich.»
Erstens habe ich nie gesagt, daß ich die Sicht der Männer berücksichtigen will. Und zweitens kann das doch nicht alles sein, was mann einem Menschen sagt, der einem seine ganze Sexualität offengelegt hat! Eigentlich ist das eine Unverschämtheit. — Eigentlich. Aber Arne kann mich nicht mehr verletzen. Vor ein paar Wochen hätte ich mich durch so ein Verhalten noch mißachtet und verarscht gefühlt. Heute schalte ich sofort: Aha, da hast du also etwas geschrieben, was Arne nicht an sich ranlassen kann. Was er ganz schnell wieder verdrängt und mit dem Stempel «oberflächlich» versehen in die große Kiste packt, in die er nie wieder freiwillig reinguckt. Er kann so wenig mit dem Thema umgehen, daß er noch nicht einmal sagen kann: Ich hab Schwierigkeiten, mich damit auseinanderzusetzen.
Seit ich das weiß, können mich solche Sprüche von ihm nicht mehr verletzen. Weil das, was er sagt, in meinem Ohr ganz anders ankommt. Ich höre nicht, daß ich etwas «Oberflächliches» geschrieben habe, sondern ich höre, daß Arne nicht damit umgehen kann, wenn eine Frau ihm soviel über sich offenbart. Arne kann mir nicht mehr weh tun. Ich habe auch keine Aggressionen mehr gegen ihn. Ich vertraue Arne, daß er nichts, was ich ihm von mir erzähle, gegen mich verwenden will. Das ist das Vertrauen, was ich ihm gegenüber habe. Auch wenn er aus vielem, was ich sage, nur das raushört, was er dann erst mal dazu nutzt, seine Argumentation zu stärken, ich sei rückwärts schauend. Ich hätte keine Substanz. Er hat das die ganze Zeit nur deshalb machen müssen, weil er Angst vor meiner «Substanz» hat, weil er Angst vor meiner gegenwartsbezogenen Einschätzung seiner Person hat. Als sich diese Gedanken in meinem Kopf formen, komme ich allmählich ins Schleudern. Ich wollte doch ein feministisches Buch schreiben! Ich habe das Gefühl, daß mir die gesamte politische Perspektive meines Buches aus den Händen gleitet, wenn ich plötzlich «Verständnis» für den «armen Chauvi» aufbringe. Ich kann mich doch nicht wieder davon einlullen lassen, daß die Männer doch nichts dafür können, daß sie so geworden sind. Das ist doch genau das Argument, mit dem mann uns Frauen dauernd davon abhält, konsequent gegen das Mackertum im Privatleben anzugehen. Immer haben wir Frauen in erster Linie Verständnis, warum ein Mensch so handelt. Lind mit diesem «Verständnis» im Kopf können wir dann nur noch mit halber Kraft gegen chauvinistische Verhaltensweisen ankämpfen. Frau muß ihm doch Zeit lassen, sich zu verändern. Kann nicht zu viel auf einmal verlangen. Und dann lassen wir ihnen Zeit, Zeit, Zeit... Und dulden in dieser Zeit unsere eigene Unterdrückung weiter.
Nein. Darauf will ich mich nicht mehr einlassen.
Aber ich versteh Arne doch wirklich. Kann es doch wirklich nicht unberücksichtigt lassen, daß er diese Heimvergangenheit hinter sich hat. Wie kann ich dieses Verständnis mit meinem eigenen feministischen Anspruch unter einen Hut kriegen?
Eines Tages auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause sagt es plötzlich ganz laut «klick» in meinem Kopf. Ein Groschen ist gefallen. Ich brauche diesen Konflikt ja gar nicht lösen. Ich kann ihn auch gar nicht generell lösen. Es ist der Widerspruch, vor dem jede Frau steht, die einerseits konsequent gegen ihre Unterdrückung kämpfen will, aber andererseits sieht, daß Männer sich nicht von
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