Der Tod des Maerchenprinzen
Ziel sei eine sozialistische Gesellschaft, dann denken die, wir meinen so was wie «drüben». Aber wie kommen wir dagegen an? Aus allen Medien werden die Leute mit der Propaganda überschüttet, das, was in der DDR und Sowjetunion läuft, sei Sozialismus. Wie kommen wir gegen diese Propaganda an? Tausend offene Fragen. Und immer noch keine Antworten.
Als Arne geht, hat er Aufruhr in mir hinterlassen. Aber heilsamen Aufruhr. Nicht wie bei der Anti-Strauß-Debatte. Bei aller Unfähigkeit, auf meine politischen Schwierigkeiten einzugehen, hat Arne mich doch im großen und ganzen wieder wachgerüttelt. Als ich ihn kennenlernte, hatte ich mir gerade ein halbes Jahr Erholung von jeglicher politischer Arbeit gegönnt. Ich wußte, daß ich irgendwann wieder anfange. Daß ich meine Arbeit in der Frauenbewegung suche. Sie nur noch nicht gefunden habe. Ich wußte, daß ich irgendwann wieder aktiver werden würde. Aber das hätte dauern können. Die Beziehung zu Arne war schon ein wichtiger Impuls für mich. Auch wenn er mir inhaltlich nicht helfen konnte, meine politische Arbeit zu entwickeln. Auch wenn er sehr unsensibel an meinen politischen Vorstellungen vorbeidiskutiert hat. Auch wenn er mich sehr plump unter Druck gesetzt hat: «Ich hör immer nur, du machst Pause. Ich hör nicht, wo das hingehen soll bei dir. Ich hör immer nur Pause.» Plump und ungeschickt wie alle Männer, die ihre Freundinnen «politisieren» wollen.
Aber wie soll er mir inhaltlich bei meiner Schwerpunktsetzung helfen, wenn ich weiß, daß ich Frauenpolitik machen will? Wie soll er mir dabei helfen? Wo er doch ausgerechnet auf dem Gebiet von Tuten und Blasen nun wirklich keine Ahnung hat. Wie soll er mir dabei helfen?
Er hätte mir etwas besser zuhören müssen. Und er hätte darauf eingehen müssen, wenn ich ihm sage, ich möchte mit ihm diskutieren, was ich über meine politische Arbeit geschrieben habe. Die Kritik ist nach wie vor richtig.
Aber daß ich ihm gesagt habe, daß politische Diskussionen mit ihm mir nie was gebracht hätten, das war ’ne reine Trotzreaktion. Das stimmt nicht. Da wollte ich ihm nur mal eins auswischen.
Arne ist weg. Ich rufe Anke an. Verabrede mich für Mittwoch mit ihr. Obwohl ich eigentlich gar nicht so genau weiß, was ich von ihr will. Nur mal gucken, was sie für ein Mensch ist. Was das für eine Frau sein muß, von der Arne in den höchsten Tönen schwärmt.
Was Anke erzählt, fügt sich nahtlos in das ein, was ich inzwischen von Arne weiß. Sie erzählt, daß sie nach ganz kurzer Zeit gemerkt hat, daß bei ihm emotional nichts mehr da war. Und daß er dann auch unzuverlässig wurde. Nicht mehr gekommen ist. Nur daß sie da nicht drunter gelitten hat, weil sie sich gar nicht so auf ihn eingelassen hatte wie Sabine und ich. Und daß sie überhaupt vorsichtiger mit ihren Gefühlen umgeht, was Männer anbelangt. Anke ist zehn Jahre älter als Arne und ich. Sie sagt, daß ihr bei dem Altersunterschied von vornherein klarwar, daß die Beziehung ihre Grenzen haben wird. Anke ist zehn Jahre älter als ich. Sie weiß, was sie will. Ich weiß das manchmal noch nicht. Sie kann wahrscheinlich realistischer einschätzen, wie weit sie sich auf Männer einlassen darf. Ich kann das nicht. Als ich Arne kennengelernt habe, habe ich noch an den Märchenprinzen geglaubt. Wenn mich jemand verliebt anblinzelt, dann verliere ich die Kontrolle über meine Gefühle. Anke nicht. Sie hatte von Anfang an niedrigere Ansprüche an Arne. Ansprüche, die er erfüllen kann. Das gilt auch für heute. Ich habe höhere Ansprüche an meine Beziehung zu Arne. Anke nimmt das so hin, daß Arne sich nicht mit ihrer politischen Arbeit auseinandersetzt. Für sie ist Arne nicht so wichtig. Sie fordert nichts von ihm. Ich fordere etwas von ihm. Fordere, daß er sich mit mir auseinandersetzt. Mit meiner politischen Arbeit. Ich kämpfe um Arnes Interesse. Habe immer darum gekämpft. Anke nie. Von mir fühlt er sich unter Druck gesetzt. Von Anke nicht. Mir wird klar, daß Anke sich ganz bewußt für etwas anderes entschieden hat als ich.
Aber ich bleibe bei meiner Entscheidung. Ich will, daß Arne sich mit mir auseinandersetzt und mich nicht bloß vollabert. Ich brauche auch Brot und Wasser. Wenn ich mit Arne politisch diskutiere, will ich, daß er sich auch mit meiner Arbeit auseinandersetzt. Ich will meine Ansprüche nicht runterschrauben.
Ich erzähle Anke von Sabine und mir. Daß wir uns sehr ähnlich sind. Uns auf Anhieb gut verstanden haben.
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