Der Tod des Maerchenprinzen
Sofaecke. Er die Hose halb runtergelassen. Sie den Unterrock hochgezogen. Gegenseitiges Angeschreie, während er in ihr rumrammelt. Sie schreit ihn an, er solle aber aufpassen. Er schreit sie an, sie solle ruhig sein.
Als er dann doch in ihr abgespritzt hat, wird das Ganze noch ekelhafter. Während sie sofort losheult, zieht er sich die Hose hoch und schreit sie an, daß sie schuld sei, daß er nicht «aufgepaßt» habe: «Du hast doch immer gesagt: noch ’n bißchen, noch ’n bißchen. Ihr Weiber könnt ja nie genug kriegen.» Sie sitzt auf dem Sofa und schluchzt. Mir wird immer übler. Ich muß fast kotzen. Was da abläuft, ist nicht nur Film. Es ist tagtägliche Realität für Tausende von Frauen. Kotzüble Realität.
Das Kinopublikum sieht einen Film.
Ob die Männer überhaupt im Ansatz schnallen, was diese heulende, durch «Aufpassen» geschwängerte Frau, die da von dem Typen angeschrien wird, wohl empfindet? Ob die Männer überhaupt schnallen, daß das nicht nur Film ist?
Wie sich die anderen Frauen hier im Kino jetzt wohl fühlen? Ob da auch noch anderen so übel ist wie mir? Die genauso still dasitzen wie ich jetzt.
Die Frau sitzt auf dem Sofa und heult. Der Typ, der schon draußen war, reißt noch einmal die Tür auf und schreit sie an: «Damit du’s weißt! Ich stell mir unter Liebe was anderes vor als nur Sauereien!» Das Kinopublikum lacht.
Arne auch. «Nu geiht aber los!» sagt er.
Mir bleibt das Lachen im Halse stecken.
Obwohl an dieser Stelle die chauvinistische Haltung dieses Typen eigentlich sehr gut dargestellt ist, fühle ich mich unwohl bei dem verständnisvollen Lachen im Kino.
Weil ich bei dem männlichen Teil dieses Kinopublikums das wirkliche Verständnis für das Elend dieser Frau anzweifle. Die lachen und finden sich furchtbar frauenfreundlich, weil sie sich so nicht verhalten würden. Es ist ja auch toll zu sehen, daß andere Männer noch frauenfeindlicher sind als mann selber. Das wertet jeden Chauvi auf.
Die heulende Frau stellt sich in der Küche über eine Schüssel mit Wasser, die sie sich auf einen Stuhl gestellt hat, und wäscht sich das Sperma ab. Die Übelkeit in meinem Magen wird schlimmer. Da hängt eine gerade durch «Aufpassen» geschwängerte Frau über einem notdürftig selbsterrichteten Bidet und heult. Neben mit sitzt Arne. Mir ist kotzübel, und ich kann mit ihm nicht darüber reden.
Am Sonntag bin ich mit Sabine verabredet. Drei Stunden vorher ruft Arne an: «Kann ich vorbeikommen?»
Das ist das dritte Mal diese Woche. Der hat doch letzten Freitag mit mir «Schluß» gemacht. Wieso ruft er mich plötzlich dreimal die Woche an: «Kann ich vorbeikommen?» Wieso macht er das? Was will der hier?
«Wärme», sagt Regina ganz spontan.
Aber heute kann er wieder nicht vorbeikommen. Weil Sabine nämlich kommt. So gegen neunzehn Uhr.
«Wie lange denn?» fragt Arne. Ob er nicht hinterher kommen könnte.
«Du, das kann ich nicht sagen. Ich möchte so ’n Gespräch nicht nach hinten begrenzen.» Ich biete ihm noch die zwei Stunden, bevor Sabine kommt, an. Aber die will er nicht haben. Dann wieder abgeschoben werden, das will er nicht.
Ich warte auf Sabine. Irgendwie freut es mich richtig, daß der junge Mann sich für heute abend was anderes suchen muß, weil die beiden Frauen, die sich nach gängigen Klischeevorstellungen eigentlich die Augen auskratzen müßten, miteinander verabredet sind. Und dann noch nicht mal Bock haben, diese Verabredung zeitlich zu begrenzen, weil sie sich Zeit füreinander nehmen wollen.
Und dann klingelt es plötzlich, und sie steht in der Tür. Ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe. Kleiner als ich, lange mittelblonde, etwas lockige Haare und ein unheimlich freundliches Lachen bei allem, was sie mir sagt in diesen ersten fünf Minuten. Sie sieht auch viel jünger aus, als ich dachte. Ich hatte eine von den Frauen erwartet, die ich immer um ihr seriöses, gesetzteres Aussehen beneide. Die ein ernsteres und erwachseneres Gesicht haben als ich. Obwohl ich wußte, daß sie auch 24 ist. Irgendwie hatte ich wohl eine Frau erwartet, die schon vom äußeren Erscheinungsbild her erwachsener, seriöser, selbstbewußter, eben einfach «besser» ist als ich, weil Arne sie mir vorzieht.
Und jetzt sitzt mir eine Frau gegenüber, die genauso ist wie ich. Die mir vom ersten Eindruck her unheimlich ähnlich ist. Gar nicht gesetzt, ruhig und ernst. Sondern ganz spontan und lachend auf mich zugehend in diesen ersten belanglosen Sätzen,
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