Der Tod des Zauberers
Vorwand umgesehen, er wolle seinen Sohn eventuell in Wartaweil unterbringen, da er ständig auf Reisen sei und sich um den Jungen nicht kümmern könne.«
In der Leitung war es vollkommen still.
»Hallo, Wildermuth!« rief ich. »Hören Sie mir überhaupt noch zu? Sind wir unterbrochen worden?« Wieder vergingen Sekunden, und ich glaubte schon, Wildermuth hätte aus Versehen auf die Gabel gedrückt und ich hätte das Vergnügen, noch einmal von vorn zu beginnen, als plötzlich seine Stimme kam.
»Jaja, gewiß«, sagte er. »Ich höre...« Es klang, als sei er mit den Gedanken überhaupt nicht bei der Sache.
»Eine komische Geschichte, nicht wahr?« fragte ich. »Was halten sie davon?« Ich lauschte in den Apparat. Wildermuth meldete sich nicht. »Hallo, Wildermuth!« rief ich. »Was ist mit Ihnen los? Sind Sie immer so gesprächig?«
»Seien Sie mir nicht böse, mein Lieber«, hörte ich ihn sagen, »aber ich versinke in Akten, und außerdem habe ich gerade eine Vernehmung... Aber schönen Dank für den Anruf.« Dann klickte es im Apparat, und ich stellte kopfschüttelnd und befremdet fest, daß Wildermuth eingehängt hatte. Ich warf meinen Hörer ein wenig verärgert auf den Apparat. Was hatte er nur? Solche Unhöflichkeiten lagen sonst nicht in seiner Art. Und wann war er nicht in Aktenbergen ertrunken? Die Folgen, die mein Anruf haben sollte, konnte ich in jenem Augenblick nicht ahnen.
Drei Tage später wurde ich von der Klinik aus angerufen. Die Umständlichkeit und feierliche Würde, mit der sich Oberschwester Mechthildis meldete, ließen mich schon das Schlimmste für Stephan Textor befürchten, aber dann war es nur die Mitteilung, daß der Patient sich den Umständen entsprechend wohl befinde und mich dringend zu sprechen wünsche. Auf meine Frage, wann mein Besuch gestattet sei, antwortete sie mir, daß ich jederzeit kommen dürfe und daß Herr Textor mich bitten lasse, so bald wie möglich zu erscheinen.
Eine knappe Stunde später stand ich mit dem Fläschchen Beaujolais vor seinem Prokrustesbett und sah mit Erschrecken, welche Veränderung mit Stephan Textor vorgegangen war. Es war genau drei Wochen nach seinem Unfall. Durch meine Anrufe in der Klinik und durch die Gespräche, die ich mit Professor Salfrank und den anderen Ärzten persönlich geführt hatte, war ich über seinen Zustand gut unterrichtet. Der Chefchirurg hatte ihn einen schwierigen Patienten genannt, und Oberarzt Dr. Körner hatte hinzugefügt, er habe den Eindruck, Textor lasse es einfach am guten Willen fehlen und flüchte sich in den Gedanken, seine Zukunft sei der Rollstuhl und die Matratzengruft. Es waren Worte, an die ich nicht glauben konnte, da ich Stephan Textor ja nur als einen Mann von absolut heiterer, optimistischer Gemütsart kannte. Bei seinem Anblick fand ich das, was die Ärzte festgestellt hatten, vollauf bestätigt. Nicht einmal seinen Leichnam hätte ich mir so apathisch und hoffnungslos erledigt vorgestellt, wie ich ihn jetzt antraf.
»Hören Sie, Stephan«, fuhr ich ihn an, »was für einen Grund haben Sie eigentlich, an den Versicherungen der Ärzte zu zweifeln? Wenn Sie sich auf ein Leben im Rollstuhl einzurichten hätten, dann würde ich den Mut aufbringen, es Ihnen zu sagen. Das schwöre ich Ihnen! Sie verrennen sich in Hirngespinste. Aber zum Teufel, selbst wenn Sie noch eine Weile am Stock daherhumpeln müßten, dann hätte ich gerade Sie für den Mann gehalten, der auch damit spielend fertig wird. Wenn ich es Ihnen ehrlich sagen darf, dann habe ich beim Eintritt in dieses Zimmer den Eindruck gehabt, Sie würden noch im Sarg fröhlicher aussehen als in diesem Augenblick. Was ist eigentlich mit Ihnen los?«
Er starrte unter den buschigen Augenbrauen, die merkwürdig gekünstelt und angeklebt wirkten, als beständen sie und der ungepflegte struppige Schnurrbart aus gefärbtem Spenglerwerg, eine Zeitlang schweigend gegen die Decke des Zimmers.
»Ich habe vergessen«, sagte er schließlich mit einer Stimme, die so fremd war wie sein ganzes Gebaren, »Sie durch Schwester Mechthildis bitten zu lassen, Ihre Reiseschreibmaschine mitzubringen.«
»Wollen Sie mir etwa Ihr Testament diktieren?« fragte ich halb belustigt und halb ratlos, was sein seltsamer Wunsch zu bedeuten hatte.
»Nein, Paul«, sagte er und schloß die Augen, »kein Testament, sondern ein Geständnis.«
Ich sah ihn völlig ratlos an.
»Ich habe Manueli erschossen.«
Ich beugte mich vor, als traue ich meinen Ohren nicht.
»Ja, ich habe
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