Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
er Freddy in voller Jockey-Adjustierung – weißes Hemd, goldene Schärpe und blaue Schirmmütze – bei den Stallungen, wo er sich gerade auf das nächste Rennen vorbereitete.
Gustav wollte ihn auf das fehlende blau-weiß getupfte Halstuch ansprechen. Ließ es bleiben, da der gute Freddy nervös zu sein schien und leicht deprimiert wirkte. Er sah Gustav nicht an, sondern liebkoste die Nüstern seines Pferdes.
„Weißt schon Bescheid?“, fragte er statt einer Begrüßung. „Haben’s die Buschtrommeln bereits verkündet …“
„Was sollen die Aschanti verkündet haben?“
„Na, nicht die Neger. Ich mein, ob du schon gehört hast, dass ich für die Polizei der Hauptverdächtige bin. Hab die letzte Nacht im Häfen verbracht, bin vorher stundenlang verhört worden. Die glauben im Ernst, dass ich den Napoleon umgebracht hab.“
„Nein …“
„Vielleicht sollt ich lieber für ein paar Tage untertauchen. Zumindest so lange, bis sie den wahren Täter gefasst haben.“ Es klang mehr wie eine Frage.
„Damit würdest du dich erst recht verdächtig machen. Ich würde dir empfehlen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Erzähl ihnen die Wahrheit. Nur so kannst du ihnen helfen, deine Tochter zu finden.“
„Was heißt die Wahrheit? Ich hab mit ihrem Verschwinden nichts zu tun. Bin mir ziemlich sicher, dass sie irgendwo hier im Prater ist.“ Freddy wirkte niedergeschlagen.
„Glaubst nicht, dass der Polanski bei dieser Geschichte seine Finger mit im Spiel hat? Ich habe gehört, dass er deiner Tochter nachgestellt hat.“
„Ich weiß. Und ich hätt ihn deswegen am liebsten erwürgt!“, stieß Freddy mit knallrotem Kopf hervor. „Zuerst hat er Margarete schöne Augen gemacht und dann unserer Tochter.“
„Vorsicht, pass auf, was du sagst! Vergiss nicht, dass Napoleon erdrosselt worden ist.“
„Nicht von mir! Ich hab den kleinen Kerl gern gehabt. Er war zwar ein schlimmes Schlitzohr, aber er hat einen zum Lachen gebracht. Man bringt keinen um, der einen zum Lachen bringt.“
Was für ein logisches Argument, dachte Gustav amüsiert. Wurde aber ernst, als er Freddys verzweifelte Miene sah.
„Napoleon war ein kluger Kerl, ein großer Spötter und angeblich sexuell sehr …, du weißt …Womöglich hat sein Tod gar nichts mit Leonies Entführung zu tun? Vielleicht ist er einem eifersüchtigen Ehemann in die Quere gekommen?“
Gustav erschien dieser Verdacht ziemlich absurd.
„Es geht gleich los. Ich bin im nächsten Rennen dran. Kannst ruhig ein paar Kronen auf mich setzen. Ich werd’s ihnen zeigen!“
Freddy nahm seinen edlen Hengst am Zaumzeug und führte ihn zum Start. Gustav war fasziniert von der Anmut und Noblesse des jungen Tieres.
In der Freudenau waren alle Sitzplätze ausverkauft. Sogar auf der Hof-Tribüne, der Kaiserloge und den beiden Seitenlogen gab es keinen freien Platz mehr. Zu dem hoch dotierten Rennen waren auch zahlreiche Angehörige der Aristokratie erschienen.
Gustav, der sich vor einigen Jahren geschworen hatte, nie mehr zu wetten, ging zu einem der Wettschalter und setzte zwanzig Kronen von dem Honorar, das er von Margarete von Leiden erhalten hatte, auf Phantom II. Dann ging er hinüber zu der Tribüne, die für die Presse reserviert war. Als er seinen alten Kumpel Balduin von der Wiener Sonntagszeitung erblickte, winkte er heftig. Balduin winkte zurück und kurz danach hatte Gustav einen der besten Plätze auf der Tribüne ergattert.
In der Freudenau traf man Leute aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Neben dem Adel verkehrten hier auch Kleinbürger, Intellektuelle, Praterstrizzis, Hochstapler und andere Gauner.
„Ziemlich voll.“ Gustav streckte seine langen Beine aus und zündete sich genüsslich eine Zigarette an.
„Die Wiener sind halt verrückt nach dem Pferdesport. Im Wurstelprater reiten’s ja sogar auf hölzernen Pferden.“ Der Sportreporter lachte über seinen eigenen Witz.
Sobald die Flaggen den Start des Rennens ankündigten und die Pferde losjagten, begannen die Massen auf den billigen Plätzen ihren Favoriten zuzujubeln. Der Lärm war unbeschreiblich.
Freddy Mars wirkte unkonzentriert, machte Fehler. Anfängerfehler. Er trieb seinen jungen Hengst vom Start weg zu sehr an.
„Das wird nix.“ Balduin schüttelte missbilligend den Kopf. „Hast hoffentlich nicht auf Sieg gesetzt, sondern nur auf Platz?“
„Ich bin ein Idiot. Hätte mir eigentlich denken können, dass er heute nicht in der richtigen Verfassung ist.“
Gustav
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