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Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Titel: Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Tagblatts eingedrungen und hat die Redakteure mit Stöcken angegriffen, weil sie verfrüht die Meldung vom Tod des einundneunzigjährigen deutschen Kaisers Wilhelm I. gebracht haben …“
    „Reg dich bitte nicht so auf. Den Schönerer nimmt keiner ernst. Das ist halt ein Fanatiker.“
    „Von wegen! Diese Deutschtümler werden sehr wohl ernst genommen. Ich sage nur Lueger. Dreimal hat ihn der Kaiser als Bürgermeister verhindern können. Und auch nur, weil seine Geliebte, die Katharina Schratt, und der Ministerpräsident Badeni und ein paar Aristokraten es ihm geraten haben. Zuletzt hat er doch klein beigegeben.“
    „Er hat vor Papst Leo XIII. kapituliert, auf dessen Bitte hin, Lueger ins Amt berufen, soviel ich gehört habe. Was soll’s? Die Christlich-Sozialen scheinen dem Hof eben, verglichen mit den Sozialdemokraten, das kleinere Übel zu sein.“
    „Eigentlich sollte man das Deutsche Volksblatt regelmäßig lesen, damit man weiß, was uns bevorsteht. Früher waren sie eindeutig Schönerer-freundlich, jetzt schreiben sie Lobeshymnen auf den Lueger. Der neue Bürgermeister dürfte es mit seiner massiven antisemitischen und antiliberalen Propaganda geschafft haben, die alldeutschen Fanatiker auf seine Seite zu ziehen.“
    „Ich halte den Lueger für weitaus gefährlicher als den Schönerer. Er kommt bei den verunsicherten Kleinbürgern noch besser an.“
    „Seit die Juden und andere Minderheiten die volle und uneingeschränkte Gleichberechtigung zumindest nach dem Gesetz erhalten haben, drehen die Leute völlig durch.“ Seine Tante klang ernsthaft besorgt.
    „Sie haben Angst vor einer weiteren Einwanderungswelle. Seit dem neuen Gesetz sind eben viele Juden nach Wien gekommen, nicht nur die reichen, wie unser Warenhauskönig Gerngross, sondern auch die armen Ostjuden, all die Wanderhausierer und Mädchenhändler aus Galizien zum Beispiel. Mich stören sie nicht, glaub mir, aber mittlerweile sind fast neun Prozent der Wiener Bevölkerung gläubige Juden.“
    „Was willst du damit sagen, Gustav?“
    „Nichts, ich habe kein Problem mit den Einwanderern, egal woher sie kommen oder woran sie glauben.“
    „Ich fürchte, du treibst dich in letzter Zeit wieder in schlechter Gesellschaft herum. Die Borniertheit und der dumme Fremdenhass dieser Neureichen färben auf dich ab.“
    „Du bist gemein! Du weißt, dass mir die Christlich-Sozialen genauso verhasst sind wie die Alldeutschen. Ich finde nur, dass dich zu wenig kümmert, was das Volk denkt. Du bist und bleibst eben ein Snob!“ Er stand auf, schaute seine Tante wütend an. „Außerdem ist mir kalt. Ich fürchte, ich habe mich verkühlt.“
    Verärgert ließ er sie in der Küche sitzen und legte sich hin.

Montag, 6. Juli 1897
    14
    Gegen Mittag ließ sich Gustav von einem Zweispänner in die Freudenau chauffieren. Heute fand das alljährliche Derby statt.
    Ein sanftes Lüfterl wehte von der Donau herauf. Es duftete nach Heu und Wiesenblumen.
    Gustav trug den weißen Seidenschal zu seinem champagnerfarbenen Sommeranzug und einen schicken hellen Strohhut, den er vor einigen Jahren in Paris gekauft hatte. Zum Glück war seine Erkältung nicht schlimmer geworden, er hatte nur leichte Halsschmerzen.
    Vor der Galopper-Rennbahn ging es hoch her. Mit Gold, Silber und Edelsteinen besetzte Equipagen standen in einer endlos langen Schlange vor den Tribüneneingängen. Gustav studierte aufmerksam die Wappen. Neunzackige, mit Perlen versehene Grafenkronen zierten so manchen Wagen. Das Wappen seines Vaters konnte er nicht entdecken. Graf Batheny schien sich nicht für Pferderennen zu interessieren.
    Die Damen der feinen Gesellschaft stellten sich in der neuesten Sommermode zur Schau. Die phantasievollen breitkrempigen Gebilde, mit denen sie ihre süßen Köpfchen vor der Sonne schützten, würden einigen begeisterten Zuschauern die Sicht auf das Rennen verstellen.
    Das Lächeln so manch unvergesslich schöner Frau am Arm eines reichen alten Mannes streifte Gustav im Vorbeigehen. Er erwiderte ihr Lächeln nicht. Mit grimmiger Miene bahnte er sich den Weg durch die Menschenmassen. Hin und wieder warf er einen flüchtigen Blick auf die Rennbahn. Der weiße Zaun, der die Gräben und Hindernisse umgab, war frisch gestrichen. Der Rasen perfekt gemäht.
    Die Jockeys in ihren leuchtend bunten Seidenhemden begaben sich mit ihren Pferden in Startposition. Graue, braune, schwarze, gescheckte … Freddys schwarzer Hengst Phantom II. war nirgends zu se-hen.
    Schließlich entdeckte

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