Der Tod hat einen Namen
hinunter. Sie waren sich der Gefahr ihres Tuns durchaus bewußt, aber für Victor bestand kein Zweifel da ran, daß sie hier unten die Vermißten finden würden. Auch wenn er es sich nicht erklären konnte, immer wieder glaubte er seine Stiefschwester zu sehen. Sie schien ihnen voraus durch die Gewölbe zu laufen.
"Sehr weit werden wir nicht kommen, Sir", wandte sich einer der Gutarbeiter an den Hausherrn. "Sind Sie sicher, daß Ihr Bruder und Miß Lindsay hier unten sind?" Ängstlich blickte er die and eren an.
"Sie sind hier unten", sagte Victor an Stelle seines Vaters.
"Hoffen wir, daß du dich irrst, Junge", meinte Charles Callison. "Warum sollten sie mitten in der Nacht diesen Ort aufgesucht haben? Schon bei Tage ist es hier gefährlich genug. Zweifelnd legte er eine Hand auf Victors Schultern.
"Bitte, vertrau mir, Dad", drängte Victor.
"Wenn während des Einsturzes jemand hier unten war, ist er sicher nicht mehr am Leben", meinte der Gärtner.
"Mister Callison! Mister Callison! Sir!" Der Gehilfe des Gär tners kam aus einem der Gänge. "Weiter hinten ist alles zusammengestürzt", berichtete er. "Daß hier, habe ich dort gefunden." Er reichte Charles Callison ein goldenes Feuerzeug.
"Es gehört William." Mr. Callison steckte das Feuerzeug ein. "Also, wollen wir sehen, ob wir noch etwas tun können. Aber seid vorsichtig. Stoßt nirgends an. Denkt daran, wie gefährlich die Gewölbe schon vor dem Einsturz waren."
"Ich weiß, daß Pamela lebt, Dad", sagte Victor. Er drängte seinen Vater und die anderen Männer beiseite und trat in den Gang, in dem Steven Eason das Feuerzeug gefunden hatte.
Während der nächsten beiden Stunden räumten sie vorsichtig die Trümmer beiseite. Es war William, den sie zuerst fanden. Ein Gesteinsbrocken hatte ihm den Schädel zerschmettert. Mit ausg estreckten Händen, die Finger wie Klauen geformt, lag er mit dem Rücken nach oben inzwischen den Trümmern.
Victor warf nur einen kurzen Blick auf die Leiche seines O nkels, dann grub er wie ein Besessener weiter. Sein Vater wollte ihm gerade sagen, daß er nicht mehr hoffen durfte, Pamela lebend zu finden, als sie plötzlich leise Hilferufe hörten. Gedämpft durch Gesteinsbrocken und Trümmer drangen sie zu ihnen.
"Sie lebt!" stieß Victor hervor. Vor Erleichterung wäre er fast in Tränen ausgebrochen.
Pamelas Stimme beflügelte auch seine Leute, noch eifriger die Trümmer abzutragen. Die Männer dachten kaum noch an die Gefahr, in der sie sich bewegten, sie hatten nur noch ein Ziel, die junge Frau zu retten.
Endlich, nach fast einer weiteren Stunde, konnten sie bereits Pamelas Kopf sehen. "Victor!" schrie sie auf, als er einen schw eren Balken zur Seite schob. War es nur ein Traum, gaukelte ihr ihre Phantasie eine Fata Morgana vor? "Bist du es wirklich?" flüsterte sie mit vor Staub heiserer Stimme.
"Es ist Wirklichkeit", sagte er und berührte ihr Gesicht. "Halt noch etwas aus, Darling."
"So lange du willst." Sekundenlang sah sie noch sein Gesicht vor sich, dann verlor sie das Bewußtsein.
Als die junge Frau wieder zu sich kam, lag sie in ihrem Bett. Victor saß in einem Sessel bei ihr. Sie blickte auf ihren rechten Arm, der in einem Verband steckte. Vorsichtig versuchte sie, ihre Finger zu bewegen.
"Keine Angst, Darling, mit deinen Fingern ist alles in Or dnung", beruhigte sie Victor. "Auch sonst scheint dir nicht viel zu fehlen." Er strich ihr über die Haare. "Was hast du dir nur dabei gedacht, mitten in der Nacht in die Gewölbe hinunterzusteigen? Ich hatte dir doch erzählt, wie baufällig sie sind. Und was wollte mein Onkel dort unten? Was..."
Pamela schloß die Augen. Wie in einem Zeitraffer glaubte sie, noch einmal die schrecklichen Stunden in den Gewölben zu erl eben. Leise und stockend berichtete sie ihrem Freund, was geschehen war. "Dinah hat mich zu ihrem Grab geführt", sagte sie. "Vermutlich hat mir der Einsturz der Gewölbe das Leben gerettet."
Victor atmete tief durch. "Mein Vater hat vorhin mit Kathleen und mir gesprochen. Er ist überzeugt, daß die Ereignisse dieser Nacht mit Dinah zusammenhängen. Erst jetzt erfuhren wir, daß er glaubt, sein Bruder würde etwas mit Dinahs Verschwinden zu tun h aben."
"Es muß schrecklich für ihn sein", meinte Pamela. "Für euch alle."
"Besonders für Kathleen, denn sie vertraute Onkel William blind." Er nahm ihre Hand. "Mein Onkel ist tot, beim Einsturz erschlagen worden. Er hat für seine Tat gebüßt." Dr. Callison stand auf und blickte aus dem Fenster.
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