Der Tod ist kein Gourmet
hätte Honey ein Kirchenlied wie »All Things Bright and Beautiful« oder – dem Anlass angemessener – »The Day Thou Gavest Lord Has Ended« erwartet.
Honey schaute sich um. Mit Ausnahme ihrer Begleiterinnen schaute die gesamte Trauergemeinde starr zum Altar. Gloria und ihre Freundinnen tappten mit den Füßen, schnipsten mit den Fingern und summten mit. Gleichzeitig verrenkten sie sich die Hälse, versuchten zu dem romanischen Bogen zu schauen, durch den Sean O’Brian seinen letzten Gang antreten würde.
Honeys Mutter und ihre Freudinnen waren wild entschlossen, nichts zu verpassen. Hauptsächlich wollten sie überprüfen, woraus der Sarg war. Sie hatten diesbezüglich Wetten abgeschlossen. Dora hatte auf Walnuss gesetzt. Gloria auf Mahagoni. Keine von ihnen hatte begriffen, dass umweltfreundlich wahrscheinlich sehr viel weniger war als Eiche, Esche, Mahagoni oder Walnuss.
Ein Raunen lief von einem Ende der Bankreihen zum anderen, von den vorderen Reihen bis nach hinten.
Honey erhob die Augen noch einmal gen Himmel – nicht im Gebet, höchstens mit der Bitte um Geduld. Von den Dachbalken, die vorhin auch interessanter ausgesehen hatten, wanderte ihr Blick zu einigen Trauergästen. Groß und klein, dick und dünn und alles dazwischen war vertreten.
Nicht alle trugen Schwarz. Es waren erstaunlich viele grüne Kleidungsstücke zu sehen. Einige der jüngeren Frauen hatten Girlanden im Haar – es war der Typ Frau, der um das Mittsommerfeuer tanzte und wahrscheinlich auch nach der Beerdigung noch kurz beim Festival von Glastonbury vorbeischaute. Manche Männer hatten strohfarbene Dreadlocks, die Honey sehr an die Rosshaarfüllung alter Sofas erinnerten.
»Ich setze auf Mahagoni«, murmelte Gloria zum wiederholten Male. »Ich kann einfach nicht glauben, dass er sich auf irgendwas anderes eingelassen hat, trotz all des albernen Umweltgetues.«
Dora blieb eisern bei ihrer Meinung. Sie wettete nach wie vor auf Walnuss.
Alle vier verrenkten sich die Hälse und warteten darauf, dass der Sarg in einer würdigen Prozession durch den Mittelgang zum Altarraum getragen würde. Honey wünschte, sie könnte auf Däumlingsgröße schrumpfen und ungesehenzum Ausgang rennen. Alte Damen konnten so peinlich sein. Sie schwor sich, nie so zu werden.
Plötzlich fiel ihr auf, dass Bobo ziemlich still war. Die kleine Terrierhündin war sonst nämlich nicht nur leicht erregbar und inkontinent, sondern auch laut. Mit einem kurzen Blick stellte Honey fest, dass jemand die schwarze Schleife von Bobos Halsband entfernt und ihr um das Schnäuzchen gebunden hatte.
Das arme Ding. Na gut, sie war nicht gerade die besterzogene Hundedame, aber Dora hätte sie eigentlich auch nicht auf eine Beerdigung mitnehmen sollen. Bobo wäre besser zu Hause geblieben, wo sie in ihrem eigenen Garten herumstreunen und Pfützen hinterlassen konnte.
Während Honey diese Überlegungen anstellte, wurde wohl der Sarg vorübergetragen. Von ihrem Platz nah bei der Wand aus konnte sie leider keinen Blick darauf erhaschen. Sie vermutete jedoch, dass das Material Kiefer oder sogar Sperrholz war oder irgendetwas aus Recycling-Apfelsinenkisten.
Ich habe recht, überlegte sie, als sie vernahm, wie ringsum alle, hörbar erstaunt, die Luft anhielten. Die Miene ihrer Mutter und die ihrer Begleiterinnen konnte sie zwar nicht sehen, sehr wohl aber, dass alle stumm die Köpfe hinter dem Sarg herdrehten, doch sonst wie zu Stein erstarrt waren.
Erst als der Trauerzug den Altar erreicht hatte, begriff Honey, warum alle so schockiert waren. Seans Sarg war nicht aus Edelhölzern aus bedrohten Regenwäldern. Er war nicht einmal aus Holz. Er war aus Pappe, aber nicht aus irgendeiner Pappe. Er war grellbunt und mit einem Bild bedruckt, das Honey selbst aus dieser Entfernung zu erkennen meinte.
Nun, überlegte sie, das erklärte die Dreadlocks, die Hippie-Sängerin und die vielen grün gekleideten Leute. Dergute alte Sean hatte es mit dem Umweltschutz wirklich ernst gemeint. Er hatte als letzte Ruhestatt die Friedwiese gewählt und genau gewusst, welche Art von Beerdigungen hier stattfanden. Er hatte nichts für Särge aus schimmerndem Hartholz mit Messinggriffen übrig.
Noch vernahm man in dem alten Kirchengemäuer erstauntes Raunen. Wie Honey verrenkten sich auch die anderen Trauergäste die Hälse, um Genaueres zu sehen.
Honey wollte sich unbedingt vergewissern, dass das auf den Sarg gedruckte Bild wirklich das war, das sie vermutete. Sie erhob sich auf die Zehenspitzen
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