Der Tod ist mein Beruf
Elsies glitten über den Fußboden. Sie blieb stehen. "Man hat freie Wohnung?"
"Ja, und Heizung. Und Verpflegung. Wenigstens ich. Außerdem gibt es Prämien. Und du könntest zu Hause bleiben."
"Ach, darum!"
sagte Elsie. Ich drehte mich um. Sie stand vor dem Küchenschrank. Sie kehrte mir den Rücken zu. "Ich finde, du siehst müde aus, Elsie."
Sie drehte sich zu mir um und richtete den Oberkörper auf. "Ich fühle mich ganz wohl."
Ich nahm meine alte Stellung wieder ein. Der Fensterpfosten verdeckte zur Hälfte die rechte Pappel, und ich bemerkte, daß der Schlagbaum es nötig hatte, frisch gestrichen zu werden. Elsie begann wieder: "
Werden im KZ die Häftlinge mißhandelt?"
Ich sagte barsch: "Bestimmt nicht. im nationalsozialistischen Staat sind solche Sachen unmöglich."
Ich setzte hinzu: "Die KZs haben einen erzieherischen Zweck."
Eine Elster ließ sich schwerfällig auf dem Wipfel der rechten Pappel nieder. Ich stieß das Fenster auf, um sie besser zu sehen. An der Fensterscheibe hinterließ meine Hand eine Spur, und ich war verärgert. Ich sagte ganz laut: "Vater wollte Offizier werden, aber man hat ihn nicht gewollt. Er hatte etwas an den Bronchien."
Und plötzlich war es, als ob ich wieder zwölf Jahre alt wäre. Ich putzte die großen Fenster im Salon, und von Zeit zu Zeit warf ich einen Blick auf die Offiziersbilder. Sie hingen genau der Rangordnung nach von links nach rechts. Onkel Franz war nicht unter ihnen. Auch Onkel Franz hatte Offizier werden wollen, aber er war nicht gebildet genug. "Rudolf", sagte Elsies Stimme. Und ich hörte die beiden Türen des Wandschranks zusammenklappen. "Offizier zu sein ist dein Traum, nicht wahr?"
Ich sagte ungeduldig: "Aber nicht so. Nicht in einem Lager."
"Also gut, dann lehne ab."
Elsie legte ihr Wischtuch über die Lehne meines Stuhles. Ich drehte mich zur Hälfte um. Sie sah mich an, und da ich nichts sagte, wiederholte sie: "Dann lehne ab."
Ich stand auf. "Der Reichsführer meint, daß ich in einem KZ am nützlichsten sein werde."
Elsie zog den Tischkasten heraus und ordnete die Gabeln ein. Sie legte sie seitlich auf die Kante, damit sie ineinanderliegen konnten. Ich sah ihr einen Augenblick schweigend zu, dann nahm ich das Wischtuch von der Stuhllehne und wischte die Spur weg, die meine Hand an der Fensterscheibe hinterlassen hatte. Es vergingen noch drei Tage, dann schrieb ich, es war nach dem Mittagessen, dem Reichsführer, daß ich seinen Vorschlag annähme. Ich ließ Elsie den Brief lesen, bevor ich ihn zuklebte. Sie las ihn langsam durch, steckte ihn dann wieder in den Umschlag und legte ihn auf den Tisch. Wenig später erinnerte sie mich daran, daß ich nach Marienthal müsse, um die Stute beschlagen zu lassen. In Dachau verging die Zeit rasch und friedlich. Das Lager war musterhaft organisiert, die Häftlinge waren einer strengen Disziplin unterworfen, und ich fand mit einem tiefen Gefühl der Zufriedenheit und Beruhigung die unerschütterliche Routine des Kasernenlebens wieder. Am 18. September 1936, kaum zwei Jahre nach meiner Ankunft im KZ, hatte ich die Freude, zum Untersturmführer ernannt zu werden. Von da an folgten meine Beförderungen rasch hintereinander. Im Oktober 1938 wurde ich zum Obersturmführer befördert und im Januar 1939 zum Hauptsturmführer. Für mich und die Meinigen konnte ich von nun an vertrauensvoll in die Zukunft blicken. Im Jahre 1937 hatte mir Elsie einen Sohn geschenkt, den ich Franz nannte, zur Erinnerung an meinen Onkel. Er war mein viertes Kind. Karl, der Älteste, war sieben Jahre alt. Katharina fünf und Hertha vier. Als ich zum Offizier ernannt wurde, erhielten wir statt der Hälfte einer Villa, wo wir sehr beengt waren, eine ganze Villa, die viel bequemer war und günstiger lag. Die Offiziersbesoldung erlaubte mir auch ein großzügigeres Leben, und nach all den langen Jahren der Entbehrung war es eine große Erleichterung, nicht mehr jeden Pfennig umdrehen zu müssen. Einige Monate nach meiner Ernennung zum Hauptsturmführer drangen unsere Truppen in Polen ein. Am gleichen Tag bat ich darum, an die Front gehen zu dürfen. Die Antwort kam acht Tage später in Gestalt eines Rundschreibens des Reichsführers. Er dankte den zahlreichen SS-Offizieren der KZs, die sich aus dem wahren Geist des Schwarzen Korps heraus freiwillig für den polnischen Feldzug gemeldet hätten. Doch sie müßten verstehen, daß der Reichsführer, ohne die Lager in Unordnung zu bringen, nicht allen diesbezüglichen Wünschen gerecht
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