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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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nach wie vor Licht brannte und das Rollo heruntergezogen war.
    Sie hatte – erst leise, dann immer lauter – an die Hintertür geklopft, ohne daß sich im Haus etwas gerührt hätte. Dann hatte sie gesehen, daß hinter dem Loch im Küchenfenster ein entsprechendes Loch in dem dünnen beigebraunen Stoff des Rollos klaffte. Und in diesem Moment hatte sie eine richtige Gänsehaut gekriegt. Ihre Nachbarin arbeitete in North Oxford und ging regelmäßig gegen Viertel vor acht aus dem Haus. Und jetzt war es schon fast acht, nein, acht vorbei.
    Da war was passiert.
    Etwas Schlimmes, wie Mrs. Norris befürchtete. Sie hatte daraufhin sofort die 999 gewählt.
    Zehn Minuten später war es den Constables Graham und Swift gelungen, sich durch die Vordertür Einlaß zu verschaffen, und in der Küche im hinteren Teil des Hauses hatten sie dann die schreckliche Entdeckung gemacht: Eine junge Frau lag tot auf dem Boden, die rechte Wange auf den kalten roten Fliesen, der hellbraune Pferdeschwanz in einer Blutlache. Nicht nur die beiden relativ unerfahrenen jungen Polizisten, sondern auch die abgehärteten Männer von der Spurensicherung sollte der Anblick von so viel Blut bis in ihre Träume verfolgen.
    Und nun war die Reihe an Morse.
     
    »Mein Gott«, sagte Lewis sehr leise.
    Morse sagte nichts. Er verzichtete (wie stets) auf eine genaue Besichtigung der Leiche und registrierte zunächst nur die Schußwunde ziemlich nah am Halsansatz, die offensichtlich die Todesursache und der Grund für das viele Blut war. Dennoch war bei Morse, der nie eine Kamera besessen hatte, im Geiste bereits mehrmals das Blitzlicht aufgeflammt.
    Alles deutete darauf hin, daß der Mord gegen Ende des ziemlich konventionellen Frühstücks geschehen war. An einem Ende des hölzernen Küchentisches – dem Ende, das dem Fenster am nächsten war – stand ein schief zur Seite verrückter Hocker mit plastikbezogenem Sitz. Auf dem Tisch lag auf einem Teller mit einem Häufchen Salz und etwas Pfeffer eine braune Eierschale neben einem hölzernen Eierbecher, auf einem zweiten Teller eine halbe Scheibe getoastetes Graubrot mit Butter und reichlich Frank Cooper’s Oxford Marmalade, und in einem weißen Becher mit der Aufschrift Greetings From Guernsey stand ein Rest Frühstückskaffee, lange schon erkaltet und schmutzig braun.
    Diese Einzelheiten hatte Morse gesehen und registriert, und zunächst war ihm das genug. Er hatte es eilig, die Schreckensszene zu verlassen.
    Im Gehen zwang er sich, noch einen Blick auf die Tote zu werfen. Sie trug ein weißes Nachthemd mit verwaschenem rosa Blumenmuster, darüber einen hellblauen Morgenrock, der bis zur Wade der schlanken, wohlgeformten, unbestrumpften Beine reichte, und Morse hatte das Gefühl – mit Bestimmtheit konnte man das in solchen Fällen natürlich nicht sagen –, daß die jetzt so verzerrten Züge bis vor kurzem genauso ansehnlich wie die Figur gewesen waren. Für einige Sekunden verzerrten sich auch seine eigenen Züge, wie aus Mitgefühl über die ermordete Frau zu seinen Füßen.
    Die Spurensicherung war inzwischen eingetroffen, und nach einer kurzen Begrüßung überließ Morse den Kollegen bereitwillig das Feld. Er bat Lewis, unverzüglich eine Haus-zu-Haus-Befragung auf beiden Straßenseiten in die Wege zu leiten, und trat durch die Vordertür auf den Bloxham Drive hinaus, wo Polizisten in Uniform herumliefen, das Blaulicht der Streifenwagen kreiste und der Tatort mit blauweißem Band abgesperrt wurde. Auch eine kleine Gruppe tuschelnder Anwohner hatte sich eingefunden, die in der Kälte des frühen Morgens fröstelten, aber fest entschlossen waren, sich nichts entgehen zu lassen.
    Und natürlich die Medien.
    Zwei Presseleute (wieso waren die eigentlich schon da?) hatten den Chief Inspector erkannt und baten um ein Interview. Ganz kurz nur, ein Satz wäre schon genug … Ein Fernsehteam aus Abingdon hatte Morse beim Verlassen des Hauses gefilmt, und ein Reporter von Radio Oxford hielt ihm ein wulstiges Mikrofon unter die Nase.
    Morse ging, mit dem leeren, verständnislosen Blick eines Taubstummen über das Getümmel hinwegsehend, langsam bis zum Ende der Straße, schwenkte nach links zur anderen Seite der Häuserzeile und wandte sich dann noch einmal nach links. Über die unebenen Steinplatten hinter den Häusern balancierend, blieb er dort, wo er und Lewis vorhin gestanden hatten, erneut stehen, scheuchte nach beendetem Rundgang die anrückenden Reporter mit einer nachdrücklichen Geste der rechten

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