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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Hand weg und ging noch einmal die Vorderseite der Häuserzeile ab.
    Man konnte nicht behaupten, daß Morse bei dieser Erkundung besonders scharfsinnige Beobachtungen gemacht hätte. Nur eins war ihm bei seiner Runde aufgefallen, und das war politischer Natur.
    Im Bezirksstadtrat stand die Neuwahl eines Stadtverordneten an (vielleicht war der Sitz durch den Tod des derzeitigen Amtsinhabers frei geworden?), und erstaunlicherweise traf dieses Ereignis hier auf erhebliches Interesse. Bis auf zwei waren alle Vorderfenster auf der Nordseite der Häuserzeile mit Aufklebern versehen. Auf den grünen Aufklebern stand der Name des Labour-Kandidaten in Rot, auf den weißen der des konservativen Kandidaten in Königsblau. Mangels sonstiger Anhaltspunkte, mit denen er seinen Geist beschäftigen konnte, hatte Morse in den Häusern Nummer 1 bis 21 eine Probeabstimmung durchgeführt. In diesem wirtschaftlich schwachen und hauptsächlich von Arbeitern bewohnten Bezirk konnte es nicht überraschen, daß der Labour-Kandidat die Nase vorn hatte. Er konnte sechs Aufkleber für sich verbuchen, denen nur zwei für die Konservativen gegenüberstanden.
    Einer dieser Sticker klebte im Erdgeschoßfenster von Nummer 15. Und aus irgendeinem Grund ertappte Morse sich dabei, daß er eine ganze Weile nachdenklich vor dem zweiten Haus stand, das sich zu den Konservativen und zu dem Kandidaten mit dem herrlich patriotischen Namen Jonathan Bull bekannte, dem Haus Nummer 1 am Anfang des Bloxham Drive.

8
     
    Oft sahn wir ihn bei Tagesanbruch
    Mit hast’gem Schritt den Tau zur Seite streifen.
    (Thomas Gray,
    Elegy Written in a Country Churchyard )
     
    In früheren Jahren war Geoffrey Owens eine Nachteule gewesen, ein Mensch, der gern bis in die späte Nacht und oft bis in den stillen frühen Morgen hinein gearbeitet hatte. Jetzt, mit Mitte Vierzig, hatte er sich, nachdem er gemerkt hatte, daß er morgens merklich besser und klarer denken konnte, zur Lerche gewandelt. Nach der Umstellung auf gleitende Arbeitszeit war es deshalb kein Opfer für ihn, der Bitte seines Arbeitgebers nachzukommen, er möge seinen Dienst relativ früh antreten und entsprechend früh Feierabend machen, zumal damit auch noch ein kleiner Gehaltszuschlag verbunden war. Seit September letzten Jahres verließ Owens sein Haus im Bloxham Drive regelmäßig kurz vor sieben. Dadurch ersparte er sich auch den Stau, der sich eine Stunde später in den oberen Bereichen der Banbury Road bildete, und entging auf der Rückfahrt dem Strom der Autofahrer, die nachmittags die belebte Innenstadt von Oxford verließen und der relativen Ruhe der nördlichen Vororte und benachbarten Dörfer wie Kidlington zustrebten.
    Alles in allem war es eine durchaus zufriedenstellende Regelung, an die er sich auch am Montag, dem 19. Februar, gehalten hatte.
    Zehn vor sieben hatte Owens sein Haus verlassen und war dabei natürlich an dem Eckhaus Nummer 1 vorbeigekommen, wo eine Frau ihm nachgesehen hatte. Er tat so, als hätte er sie nicht bemerkt; ohne die Hand zum Gruß zu heben, war er bis zur Kreuzung gefahren und dort rechts abgebogen in Richtung Oxford. Aber auch wenn er sie nicht gesehen hätte – sie hatte ihn ganz sicher erkannt.
    Für einen Montag (häufig der schlimmste Tag der Woche) herrschte auch zu dieser relativ frühen Stunde erstaunlich wenig Verkehr, und Owens war ohne wesentliche Verzögerung an der Schranke des großen Parkplatzes angekommen, der zu dem Komplex der Oxfordshire Newspapers in Osney Mead gleich hinter dem Bahnhof an der Botley Road gehört.
    Owens war vor drei Jahren mit einem eindrucksvollen Lebenslauf in Oxford eingetroffen, der dem Bewerber »All-round-Erfahrungen in den Bereichen Reportage, Redaktion, Anzeigenwesen und Personalführung« attestierte. Die vier Herren, die das Vorstellungsgespräch mit ihm geführt hatten, hatten sich einstimmig auf ihn geeinigt und auch keinen Grund gehabt, ihre Entscheidung zu bereuen. Owens hatte sich als gewinnbringende Investition erwiesen. Da er die englische Grammatik überdurchschnittlich gut beherrschte, hatte man ihn sehr bald – mit einer entsprechenden Gehaltserhöhung – zusätzlich damit betraut, die schlampig geschriebenen und mit teilweise haarsträubenden orthographischen Fehlern gespickten Beiträge seiner jüngeren Kollegen zu redigieren und den Personalchef zu vertreten, wenn er auf Tagungen war.
    Owens, offiziell als Chefreporter eingestellt, brachte seine Arbeitszeit deshalb zunehmend am Schreibtisch zu und verließ

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