Der Tod ist mein Nachbar
Lächeln eine Reihe weißer und makellos in Reih und Glied stehender Zähne zur Schau, die niemanden im Zweifel darüber ließen, daß die Bestückung ihres Oberkiefers unverhältnismäßig teuer gewesen sein mußte.
Nach diesem einleitenden Scharmützel hielten sich beide an einen wohlerzogenen Waffenstillstand und wechselten während des Essens kein weiteres Wort, keinen weiteren Blick.
Am Kopf der Tafel saß der kleine Priester zur Rechten des Master.
»Nur diese beiden Kandidaten?« fragte er leise.
»Ja, nur zwei: Julian Storrs und Denis Cornford.«
»Dann gibt es bestimmt das übliche Hickhack, Absprachen, Intrigen …«
»Aber nein, bei uns geht es sehr zivilisiert zu.«
»Woher wissen Sie das?«
»Man braucht sich ja nur anzuhören, was die Leute sagen und wie sie es sagen.«
Der kleine Priester schob die Hälfte seines Perlhuhns ungegessen beiseite.
»Irgendwo habe ich mal gelesen, Clixby, daß Sprache echter Kommunikation häufig nur hinderlich ist.«
25
Samstag, 24. Februar
Es gibt keine Skandalgeschichte, die gänzlich aus der Luft gegriffen wäre.
(Richard Brinsley Sheridan, The School for Scandal )
Während der Gästeabend seinen Lauf nahm, während Portwein und Madeira in der althergebrachten Richtung kreisten, hatte der völlig übermüdete Morse beschlossen, sich frühzeitig hinzulegen. Er schlief, was fast ohne Beispiel war, bis zum nächsten Morgen um Viertel nach sieben durch und hätte sich zu diesem Zeitpunkt am liebsten umgedreht und weitergeschlafen, aber dazu erwartete ihn zuviel Arbeit. Er goß zwei Tassen Nescafé herunter (den er echtem Kaffee vorzog) und aß zu seiner dritten Tasse eine dick mit Butter und Frank Cooper’s Oxford Marmalade bestrichene Scheibe Vollkorntoast.
Um 8.45 Uhr war er im Büro. Auf seinem Schreibtisch lag ein Zettel:
Bitte baldmöglichst bei Chief Sup. Strange melden.
Das Gespräch verlief fast bis zum Schluß freundschaftlich, und Morse konnte praktisch ohne Unterbrechung seine neuesten Überlegungen zum Mordfall Rachel James darlegen.
»Hm«, grunzte Strange, als Morse fertig war, und stützte den massigen Kopf in die Handflächen. »Es könnte also ein Auftragsmord sein, der schiefgegangen ist, wie? Das Opfer wird zu unbestimmt beschrieben, und der Mörder schießt auf den falschen Rattenschwanz …«
»Pferdeschwanz, Sir.«
»Ja – durch das falsche Fenster. Habe ich das richtig verstanden?«
»Ja.«
»Und was ist mit dem Motiv? Das ist in solchen unklaren Fällen häufig der Schlüssel.«
»Sie reden wie Sergeant Lewis, Sir.«
Man sah Strange an, daß er nicht recht wußte, ob er es für erstrebenswert halten sollte, wie Sergeant Lewis zu reden.
»Und was sagen Sie dazu?«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir. Gerade deshalb könnte es sich um eine Verwechslung handeln. Wir haben kein überzeugendes Motiv für einen Mord an Rachel James gefunden. Wenn aber jemand Owens hätte aus dem Verkehr ziehen wollen, könnte ich Ihnen zehn, zwölf mögliche Motive dafür nennen.«
»Weil er ein Zeitungsmann ist, meinen Sie?«
Morse nickte. »Es gibt genug Leute in exponierter Stellung, die eine Leiche im Wohnzimmer haben …«
»Im Keller.«
»… und die auch zu extremen Maßnahmen greifen würden, damit – äh – der Keller fest verschlossen bleibt.«
»Öffentliches Onanieren auf der M40, meinen Sie? Wochenendreise mit der Sekretärin? Übrigens haben Sie neuerdings ein reizendes kleines Ding als Sekretärin. Gefällt sie Ihnen?«
»Mit solchen Gelüsten ist es bei mir im Augenblick nicht weit her, Sir.«
»Geht Ihnen nicht allein so. Man nennt das Älterwerden.«
Strange hob den schweren Kopf und sah Morse über seine Halbbrille hinweg scharf an.
»Ziemlich harte Nuß, wie? Sie haben keinen Anlaß zu der Vermutung, daß er interessantes Material unter der Matratze versteckt hat?«
»Nein, eigentlich nicht …«
»Und einen Grund zu der Annahme, daß er Rachel James umgebracht hat, haben Sie wohl auch nicht?«
»N-nein …«
»Er ist also hundertprozentig aus dem Schneider?«
Morse überlegte einen Augenblick. »Leider ja.«
»Und nun?«
»Ich – wir werden uns etwas einfallen lassen.«
»Nichts Illegales, wenn ich bitten darf! Wir sind gerade erst dabei, ein paar unappetitliche Affären bei der Polizei zu verkraften, und ich wünsche nicht, daß so etwas noch einmal vorkommt. Ist das klar, Morse?«
»Wenn Sie fair sind, müssen Sie zugeben, Sir, daß ich mich meist an die Vorschriften
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