Der Tod ist mein
ausging, und wünschte, sie empfände keine vage Unzufriedenheit, nur weil er nicht da sein würde, wenn sie nach Hause kam. In weniger als einem Jahr hatte sie sich viel zu sehr an seine Gegenwart gewöhnt.
Wütend auf sich selbst nahm sie ihren Computer in Betrieb, und war dabei abgelenkt genug, dass sie das Gerät nicht mit Faustschlägen traktierte, als es erst nach langem Ächzen und Quietschen seine Arbeit aufnahm.
Sie rief die Akten von Snooks und Spindler auf und holte beide Bilder nebeneinander auf den Bildschirm.
Beide Gesichter wirkten vernachlässigt, ja, regelrecht verbraucht. Während jedoch Snooks eine, wenn auch etwas jämmerliche Freundlichkeit ausstrahlte, sah Spindler kalt und verkniffen aus. Sie war beinahe zwanzig Jahre jünger gewesen, von einem anderen Geschlecht, einer anderen Rasse, hatte einen anderen Hintergrund gehabt.
»Fotos vom Tatort Spindler«, befahl sie dem Computer.
Es war ein winziges, voll gestelltes Zimmer mit einem einzigen, kaum mehr als handbreiten Fenster in der der Tür gegenüber befindlichen Wand. Aber, bemerkte Eve, es war aufgeräumt und sauber.
Spindler lag auf einem verwaschenen, blutbefleckten Laken. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Mund erschlafft. Sie war nackt, und ihr Körper bot keinen hübschen Anblick. Eve sah, dass ihr Nachthemd ordentlich gefaltet auf dem Nachttisch lag.
Ohne die Blutflecken hätte man denken können, dass sie schlief.
Sie hatten sie betäubt, entkleidet, das Nachthemd ordentlich gefaltet. Sauber, präzise, gut organisiert.
Wie hatten sie sie ausgewählte`, überlegte Eve. Und aus welchem Grund?
Das nächste Bild zeigte den von der Spurensicherung umgedrehten Leichnam. Die Großaufnahme des ausgemergelten Körpers mit den herabhängenden Brüsten und der faltigen Haut ließ für Schamgefühl und Würde keinen Raum. Spindler hatte ihre Einnahmen eindeutig nicht in die Erhaltung ihres Körpers investiert, was wahrscheinlich sogar klug gewesen war, denn die Investition hätte sich nicht gelohnt.
»Nahaufnahme von der Verletzung«, wies sie den Computer an, und die Ganzkörperaufnahme wurde durch die Vergrößerung des betreffenden Ausschnittes ersetzt. Die Schnitte waren deutlich schmaler, als Eve angenommen hatte. Zwei beinahe zarte Linien. Und obgleich sich niemand die Mühe gemacht hatte, die Wunden wieder zu verschließen, hatten die Täter die Blutung mit einem chirurgischen Vereisungsmittel gestoppt.
Routine, dachte sie. Und ganz bestimmt auch Stolz. Ließen Chirurgen die Patienten nicht häufig von irgendwelchen Untergebenen wieder zusammennähen? Die große, bedeutungsvolle Arbeit war verrichtet, weshalb also ließ man jetzt nicht einmal jemand Rangniederen heran?
Sie würde sich erkundigen, ob dies tatsächlich die übliche Vorgehensweise war, glaubte jedoch, sie hätte es in irgendwelchen Videos gesehen.
»Computer, ich brauche eine Analyse der Operationen beider Opfer und anschließend eine Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass beide OPs durch denselben Chirurgen ausgeführt worden sind.«
Suche… Die Analyse wird in zirka zehn Minuten abgeschlossen sein.
»Super.« Sie stand auf, trat vor das Fenster und schaute hinaus in den stockenden Luftverkehr. Der Himmel hatte die Farbe eines riesengroßen blauen Flecks. Einer der Minicopter geriet heftig ins Schwanken, als eine Windbö ihn ergriff. Noch vor Ende ihrer Schicht würde es anfangen zu regnen oder zu schneien. Die Rückfahrt nach Hause würde also sicher grässlich.
Sie dachte an Roarke, der in dreitausend Meilen Entfernung unter Palmen und einem leuchtend blauen Himmel behaglich in der Sonne saß.
Dann dachte sie an all die namenlosen, verlorenen Seelen, die um einen Platz an einem stinkenden Feuer in einer verrosteten Tonne kämpften, und überlegte, wo sie sich verstecken könnten, wenn nachher der Schnee kam und der Wind durch die Straßenschluchten heulte und die Dächer von ihren Unterständen riss.
Geistesabwesend legte sie die Finger an die Scheibe und spürte die Kälte des Glases auf der Haut.
Als urplötzlich eine lange verdrängte Erinnerung an das Mädchen, das sie einst gewesen war, sie wie ein Fausthieb traf. Mager, mit eingesunkenen Augen, gefangen in einem der unzähligen, grauenhaften Räume mit gesprungenen Fensterscheiben und kaputter Heizung, sodass der Wind kreischend durch das Zimmer pfiff und wie mit eisigen Fäusten auf sie einschlug.
Kalt, es war so furchtbar kalt. Sie hatte solchen Hunger. Sie hatte solche Angst. Sie saß allein
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