Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Hausecke herumlungern – oder wenn man lieber Voltaire glauben mag, ist nur ein Wort ohne Sinn. Aber so sehr er dieses Wort rupft und dehnt, in dieses Puzzle passt es nicht.
Und jetzt steht er hier. Eine Idee hat er nicht. Er kann sich nicht bewegen. Als hätte ihm jemand die Wirbelsäule herausgerissen und würde das Häuflein Hartinger damit auspeitschen. Er hat so etwas Dutzende Male in der Glotze gesehen. Der naive, liebeshungrige Bulle und die schöne, undurchschaubare Verdächtige. Immer denkst du dir, das hat mit dem Leben nichts zu tun. So stupide ist die Wirklichkeit nicht. Das ist so weit hergeholt, als würde dir Peter Pans »Tinker Bell« über den Weg fliegen und dich zur Schwarzwälder ins Rentner-Café einladen. Aushorchen hat ihn die Isabella wollen. Dafür ist sie weit gegangen. So weit hätte sie beim Hartinger gar nicht gehen müssen. Ihre Gesellschaft hätte ihm genügt. Ihr Plaudern, ihr Lächeln, ihr ...
Er hebt einen Stein auf und wirft ihn mit aller Kraft ins Wasser. In Gedanken geht er die Personen durch, denen er sich anvertrauen kann. Bei der Wiesner bleibt er hängen. Jonny würde ihm zwar größtes Verständnis entgegenbringen, aber wie das »Danach« zu regeln wäre, da wäre der junge Polizist blank. Der Sandner ist nicht einzuschätzen. Schwarzes Loch. Er könnte ihm den Kopf abreißen oder es als Lappalie abtun, je nach Stimmung.
Die Nummer der Oberkommissarin ist besetzt. Er sollte handeln. Zumindest seinen Treffer weitermelden – rudimentär. Beim Sandner meldet sich die Mailbox – was ihn erleichtert. Selbst Schuld. Er schnauft tief durch. Ein Aufschub. Das Mobilteil verschwindet wieder in der Jackentasche.
V ielleicht hätte der Hartinger im Westend in einem vermüllten Loch stehen und auf die Leiche eines Teenagers schauen sollen. Das relativiert vieles. Der Ermordete wird nie mehr die Gelegenheit haben, von einem Madl enttäuscht zu sein oder das Dasein zu verfluchen. Dazu bräuchte es Dasein. Damit ist der Kommissar gesegnet. Immerhin – auch wenn es auf ihn herunterscheißt, als gäbe er dessen Kloschüssel ab.
Der Sandner braucht niemanden anzusprechen. Keine Fragen. Er weiß Bescheid: Wer da in seinem Blut liegt, wird der anonyme Anrufer sein. Er musste hier in diesem Loch verrecken wie ein Viech im Schlachthof.
Nur kurz hat er ihn angesehen. Den Tod in seinen starren Augen wahrgenommen. Wie schon so oft. Wie immer wieder neu. Wenn du ihn nicht anschaust, kann er dir nichts anhaben. Die alte Mär.
Gründlich hat er gearbeitet. Der Junge hat nicht leiden müssen, kann man den fassungslosen Eltern aufs Brot schmieren. Jemand wird es ihnen sagen, der das Leid nicht geschmeckt hat. Nimm einen Bissen, und es zerreißt dir die Eingeweide. Schluck es hinunter und dein Herz zerbricht in Stücke.
Einfach weg. Jeder Gedanke, jeder Wunsch, all das, was diesen Jungen einmalig gemacht hat in dieser Welt. Gestorben, weil er etwas gesehen hatte, was er nicht hätte sehen sollen. Am falschen Ort zur falschen Zeit – so billig. Seine Hand hat ein angebissenes Stück Salamipizza gehalten. Henkersmahlzeit.
Braunes Gelhaar, pausbäckiges, pickliges Gesicht, blauer Nike-Hoodie. Niemand, der dir auf der Straße auffallen würde. Jetzt hat er die Schlagzeilen – für einen Tag. Was immer sein Traum gewesen ist, wo immer seine Schritte ihn hingeführt hätten – die Frage ist mit einer Pistolenkugel pulverisiert worden.
Der Hauptkommissar dümpelt nicht in Trauer und Entsetzen. Dafür ist nicht die Zeit. Der Anker ist geborgen. Weit hinaus ist er mitten in den Orkan der kalten Wut hineingesegelt. Durchhalten oder absaufen. Wer immer mit seiner Waffe durch die Gegend spazierte und tötete – er würde ihn aufspüren. Eine Gestalt manifestiert sich in seinem Kopf, feixend in seiner prallen Polizeiuniform.
D ie schnarrende Stimme des Wenzels hallt über den Hof. Wie der Sandner ihn kommen hört, drängt er sich hinter den breiten Rücken einiger Beamter ins Freie. Er will ihm nicht begegnen. Sonst ist er immer für eine solide Hakelei gut, aber der Polizeirat hatte ihm die Hände auf den Rücken verschnürt. Keine Möglichkeit, dem Hosenbiesler Paroli zu bieten.
Er schleicht sich tief gebeugt zum Müllcontainer, als würde er dem ölfleckigen Untergrund seine Aufmerksamkeit schenken. Hinter der grauen Metallbox macht er sich unsichtbar. Das geschäftige Treiben nimmt keine Notiz.
»So a arme Sau«, hört er einen der Uniformierten sagen. Offenbar steht der vor dem Container. Ein
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